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Ansprache Botschafter Graf Lambsdorff zum Volkstrauertag

Deutscher Soldatenfriedhof Ljublino

Deutscher Soldatenfriedhof Ljublino © Nikita Markov

16.11.2025 - Rede

Deutscher Soldatenfriedhof in Moskau

Sehr geehrte Damen und Herren der Militärattaché-Stäbe,
liebe Schülerinnen und Schüler,
liebe Gäste!

Seit 1952 dient der Volkstrauertag als Gelegenheit zum Innehalten für die Opfer von Krieg und Gewalt überall auf der Welt. Die Erinnerung an das vor mehr als 80 Jahren von Deutschen begangene Unrecht ist auch hier in Ljublino präsent. Wir vergessen nicht, es war Deutschland, das damals einen verbrecherischen Angriffskrieg entfesselt und Europa in den Abgrund gestürzt hat. Wir stehen zu unserer Geschichte und haben unsere Schlüsse gezogen.

Wenn wir uns an Krieg und Gewaltherrschaft früherer Tage erinnern, erkennen wir, wie wichtig heute Demokratie und Verständigung für den Frieden sind. Immanuel Kant hat es vor 230 Jahren postuliert und bis heute ist er, ist sein Postulat nicht widerlegt: Demokratien führen keine Kriege gegeneinander.

Deswegen gilt: Engagement für freiheitliche Demokratie, für Recht, Freiheit und Menschenwürde ist immer auch Dienst für den Frieden.

Botschafter Graf Lambsdorff
Botschafter Graf Lambsdorff © Nikita Markov

Freiheit gelingt nur, wenn sie nicht rücksichtslos ist, sondern im Bewusstsein unserer Verantwortung füreinander gelebt wird. Wenn jeder nur auf sich und seine Interessen schaut, unversöhnlich streitet und die Fähigkeit zum Kompromiss verloren geht, dann gewinnen die Feinde der Demokratie. Wir alle brauchen einander und die Demokratie braucht immer auch die Bereitschaft zum Miteinander.

Was sich nicht wiederholen soll, darf nicht vergessen werden, nicht verdrängt, nicht verzerrt und nicht missbraucht. Nur wenn wir uns aufrichtig und ehrlich erinnern, können wir künftige Generationen vor den Schrecken von Krieg und Gewalt schützen. Gerade im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehen wir, wie problematisch es ist, wenn Erinnerung dazu missbraucht wird, Gewalt zu rechtfertigen. Das gilt in diesen Zeiten leider in ganz besonderer Weise für unser Gastland. Russlands Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Großen Vaterländischen Krieges. Russland wurde nicht angegriffen, es hat angegriffen – und tut dies jeden Tag aufs Neue. Dieser Krieg ist auch ganz sicher keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus. Diese sehr durchschaubare Behauptung ist nichts weiter als ein fadenscheiniger Deckmantel für einen imperialistischen Feldzug mit tausenden, ja hunderttausenden von sinnlosen Opfern. Dabei dauert er inzwischen fast genauso lange wie der Große Vaterländische Krieg.

Meine Damen und Herren,

Ich freue mich besonders, dass auch in diesem Jahr Schülerinnen und Schüler der Deutschen Schule Moskau heute unter uns sind. Sie haben sich im Schulunterricht damit auseinandergesetzt, wie und vor allem warum wir den Gefallenen gedenken und sich für den Volkstrauertag vorbereitet. Schilderungen von Einzelschicksalen kennen Sie aus historischen Romanen, Kinofilmen oder fundierten sozialen Netzwerken. Dass Sie heute persönlich mit uns gemeinsam auf diesem Soldatenfriedhof stehen, ist ein wichtiges Zeichen, wider des Vergessens, das sie persönlich setzen. Einige, derer wir heute gedenken, waren fast im gleichen jungen Alter wie Sie. Mit Ihrer Präsenz an der letzten Ruhestätte ehren Sie ihr Andenken und beweisen, dass die Gefallenen in Russland nicht vergessen sind.

Wenn wir im Anschluss über den Friedhof gehen und vor Gräbern innehalten geht es nicht um Kriegsgeschichte, sondern Schicksale, um das, was der Krieg mit Menschen macht und was Menschen im Krieg gemacht haben.
So wird die persönliche Auseinandersetzung mit dem einzelnen Grab zu einer eindringlichen Aufforderung zum Nachdenken. Dort liegt ein Mensch. Ein Mensch mit Freunden und Familie. Ein Mensch mit Träumen und Zielen. Jetzt liegt er hier, fern der Heimat, sein Leben vor der Zeit abgeschnitten. Was ist passiert? Warum ist etwas passiert? Welche Schlüsse ziehen wir aus seinem Schicksal? Für uns ganz persönlich. Welche Verantwortung folgt daraus?

Diese Verantwortung ist nicht Bürde oder Last, sondern sie ist Angebot und Aufforderung zugleich, die eigene Freiheit und die unseres Landes zu gestalten. Kriegsgräber sind daher keine toten Monumente, sondern lebendige Orte des Erinnerns. Hier lernen wir: Freiheit fußt auf Verantwortung und dauerhaften Frieden gibt es nur in Freiheit.

Ich danke Ihnen, lieber Herr Krause, als dem Vertreter des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge für das große Engagement zur Pflege der deutschen Soldatenfriedhöfe in Russland. Dank Ihrer Arbeit können wir heute diese Gedenkfeier in Ljublino würdig begehen.

Ich danke auch Ihrer Partnerorganisation für die Kooperation bei dieser wichtigen Arbeit. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland bei der Pflege der Kriegsgräber bleibt uns Deutschen vor dem geschilderten Hintergrund dauerhaft ein wichtiges Anliegen – auch in diesen besonders schwierigen Zeiten. Wir hoffen sehr, dass sie auch in Zukunft fortgesetzt werden kann.

Ich bitte nun um einen Moment des Schweigens!

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