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Ansprache des Botschafters Alexander Graf Lambsdorff zum Empfang am 3. Oktober 2025

Ansprache des Botschafters Alexander Graf Lambsdorff zum Empfang am 3.Oktober 2025 © ekaterina tsaplina
Herzlich willkommen, Exzellenzen, meine Damen und Herren, liebe Landsleute, liebe Freunde!
Heute, an diesem Tag, erinnern wir uns an die Wiedervereinigung Deutschlands vor 35 Jahren.
Dieses Ereignis ist für uns Deutsche etwas ganz Besonderes.
Seit dem 3. Oktober 1990 leben alle Deutschen in der freiheitlichsten Verfassung, die unser Land je hatte: dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.
Rechtlich ist unser Land zusammengewachsen, wirtschaftlich, kulturell und politisch gibt es nach wie vor Unterschiede zwischen unseren Landesteilen.
Manche kritisieren das, manche halten es für unabänderlich.
Ich glaube, dass beide nicht ganz richtig liegen.
„Einigkeit und Recht und Freiheit“ lauten die ersten Worte unserer Hymne – nicht Einigkeit und Recht und Gleichheit.
Deutschland ist ein freies Land.
Das heißt, dass es sich ständig verändert.
Nicht, weil die Politik es verordnet, sondern, weil die Menschen es so wollen.
Und Deutschland ist ein Land mit echtem Föderalismus, mit selbstbewussten Regionen und über zwei Jahrtausende gewachsenen Städten mit sehr eigenem Charakter.
Unterschiede sind daher ganz normal.
Das gilt auch für unseren Einigungsprozess.
Nach innen ist die deutsche Einheit nämlich kein Zustand, sondern ein Prozess.
Und so ist natürlich auch vorstellbar, dass dieser Prozess in Zukunft zu mehr Ähnlichkeit führt.
Auch das wäre in Ordnung.
Zwei Dinge dabei sind wichtig: Zum einen, dass alle Veränderungen Ergebnis freier Debatten und Entscheidungen sind.
Und zum anderen müssen wir uns immer klar machen, dass es Unterschiede keineswegs nur zwischen Ost und West gibt, sondern auch zwischen Nord und Süd und Stadt und Land, wie es historisch betrachtet in Deutschland immer der Fall war.
Meine Damen und Herren,
die Wiedervereinigung hatte nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa zentrale Bedeutung.
Nur anderthalb Monate nach der deutschen Wiedervereinigung bekräftigten Deutschland und Russland mit 30 weiteren Staaten die neuen Prinzipien des europäischen Zusammenlebens in der Charta von Paris:
• Souveränität aller Staaten.
• Unverletzlichkeit aller Grenzen.
• Keine Anwendung von Gewalt.
• Keine Einflusszonen.
Ich erwähne Russland hier ganz bewusst, weil sich unser Gastland damals aktiv zu friedlicher Zusammenarbeit bekannt hat, in der OSZE, im Europarat und in den Vereinten Nationen. Das Versprechen war klar: Konflikte - die es im Zusammenleben der Staaten immer geben wird - werden in Verhandlungen gelöst, nicht mit Waffengewalt. Es gibt Respekt für das Völkerrecht, das gerade für kleinere und mittelgroße Länder der wichtigste Schutz ist.
Heute aber müssen wir erleben, dass Russland ein kleineres Nachbarland militärisch angreift und gleichzeitig die politische Führung versucht, es von Europa abzuschneiden.
Unsere Haltung in dieser Frage ist klar: Der Krieg in der Ukraine muss aufhören.
Wir stehen bereit, eine Friedenslösung zwischen Russland und der Ukraine zu unterstützen.
Denn ohne eine Beendigung dieses sinnlosen Krieges wird es keine Friedensperspektive für unseren Kontinent geben.
Es ist an Präsident Putin, eine solche Friedenslösung zu ermöglichen.
Der Schlüssel zum Frieden liegt im Kreml.
Er muss getragen werden von den Prinzipien der Charta von Paris.
Denn sie, die ich eben schon erwähnt habe, zeigt den Weg in eine bessere Zukunft, mit Respekt für die Nachbarländer, Unverletzlichkeit der Grenzen und vor allem mit friedlicher Streitbeilegung.
Und dass die Führung in Moskau das großartige europäische Erbe und die tiefgehenden Verbindungen Russlands zu seinen europäischen Nachbarn verleugnet, ist zutiefst bedauerlich für uns alle.
Diese Politik macht geistig und kulturell alle ärmer.
Die Menschen in Europa, aber vor allem die Menschen hier in Russland.
Liebe Freunde,
an diesem Tag der Deutschen Einheit denken wir in Dankbarkeit an den Beitrag, den mutige sowjetische und russische Politiker zur Überwindung der Spaltung Deutschlands und Europas geleistet haben.
Sie haben damit die Rückgewinnung von Freiheit und Demokratie in Mittel- und Osteuropa und eine Zeitlang auch in Russland ermöglicht.
Wir denken auch an alle, die sich über dreieinhalb Jahrzehnte hinweg in Russland wie in Deutschland für die Schaffung vielfältiger Verbindungen unserer Länder engagiert haben – in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Unterricht, Diplomatie, Journalismus und in vielen anderen Lebensbereichen.
Viele von denen, die sich dieser Aufgabe auch weiter verpflichtet fühlen, sind heute unter uns.
Meine Botschaft an sie ist: Sie alle werden weiterhin dringend gebraucht.
Lassen Sie sich nicht entmutigen.
Denn auch das haben wir durch das Wunder der deutschen Wiedervereinigung gelernt: Veränderung zum Besseren ist möglich.
Auch scheinbar fester Beton kann brechen.
Das kann viel schneller passieren als die meisten denken und das kann den Weg in eine Zukunft in Frieden und Freiheit ebnen.
Der Tag der Deutschen Einheit ist daher nicht nur für uns Deutsche ein Tag der Hoffnung.
Er steht dafür, dass Gewalt, Unfreiheit und Trennung überwunden werden können.
Er steht dafür, dass ein friedliches Zusammenleben möglich wird, wenn wir das wollen und an diesem Ziel festhalten.
Und er steht dafür, dass auch Unmögliches möglich wird, selbst wenn es lange unerreichbar scheint.
Lassen Sie uns darauf zusammen die Gläser erheben - auf die Hoffnung auf Frieden in Europa und auf die Rückkehr zum Völkerrecht!
Auf den Tag der deutschen Einheit.
Vielen Dank.