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Botschafter von Geyr zum Tag der Deutschen Einheit 2020

02.10.2020 - Rede

Ich grüße Sie alle sehr herzlich zum Tag der Deutschen Einheit 2020, dem 30. Jahrestag der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands!

Botschafter von Geyr zum Tag der Deutschen Einheit

Heute wende ich mich an Sie von einem ganz besonderen Ort.
Denn genau hier, in diesem Raum des damaligen Hotels Oktjabrskaja in Moskau, wurde im September 1990 der 2+4 Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs unterzeichnet.
Dieser Vertrag besiegelte die außenpolitischen Grundlagen für die deutsche Einheit, die dann wenige Tage später, am 3.Oktober 1990, vollzogen wurde.

Die Deutsche Einheit war möglich geworden dank der friedlichen Proteste der mutigen Menschen in der damaligen DDR.
Freiheitsliebende Bürger, vom SED-Regime unterdrückt, waren vereint im Willen zu gesellschaftlichen und politischen Reformen.
Sie waren mit Charakter, Courage und Geduld imstande, die unmenschliche Mauer, die Deutschland Jahrzehnte lang geteilt hatte, zu bezwingen.
Diese Erfahrung machten wir Deutsche vor 30 Jahren, diese Erfahrung machten um diese Zeit und seither Menschen in vielen Ländern, in denen die politischen Führer ihren Menschen nicht trauen – und die Menschen ihren politischen Führern nicht.

Die Deutsche Einheit wurde auch möglich Dank der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und Dank der Nachbarn Deutschlands.
Sie und viele andere waren Opfer des so unermesslichen Leids gewesen, das Deutsche mit der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und mit dem Holocaust über die Völker der Welt gebracht hatten.
1990 konnten sie Deutschland vertrauen.
Sie konnten darauf vertrauen, dass Deutschland zu seiner historischen Verantwortung stand und weiterhin steht und dass es dem Auftrag nachkommt, der in unserem Grundgesetz verankert ist:
….als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen...„

Das Vertrauen war wesentlich.
Vertrauen zwischen Bundeskanzler Kohl, Generalsekretär Gorbatschow und vielen anderen.
Dieses Vertrauen machte 1990 hier in diesem Saal mutige Politik möglich:
eine Politik zur Beendigung der deutschen Teilung, der europäischen Teilung und auch hin zur Überwindung des Kalten Krieges.

Es ging auch um das Vertrauen in die Stärke des Rechts.
Die deutsche Einheit war kein Handstreich, sondern Ergebnis detaillierter und verlässlicher staats- und völkerrechtlicher Entscheidungen und Verhandlungen. Dies gab Allen Sicherheit.

Vertrauen und politischer Mut, beides war auch zusammengekommen bei den beiden vorherigen großen Etappen der deutsch-sowjetischen Beziehungen, die ebenfalls in diesem Jahr 2020 runde Erinnerungstage haben:

Im September 1955, vor 65 Jahren, war mit Konrad Adenauer erstmals ein Bundeskanzler nach Moskau gereist – nicht ohne politisches Risiko.
Adenauer und Chruschtschow konnten sich vertrauen und, damals gerade 10 Jahre nach Ende des Krieges, mutige, verhandelte Entscheidungen treffen:
die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion und die Freilassung der letzten 10.000 deutschen Kriegsgefangenen.

Und vor 50 Jahren, im August, war es Bundeskanzler Willy Brandt gewesen, der nach Moskau kam zur Unterzeichnung des Moskauer Vertrags.
Dieses Schlüsseldokument der Ost-West Beziehungen anerkannte 25 Jahre nach Kriegsende Grenzen und brachte mit der Verpflichtung auf Entspannung und Frieden in Europa den Menschen beiderseits des Eisernen Vorhangs sehr konkrete Erleichterungen.
Dazu brauchte es Vertrauen zwischen Brandt und Breschnew - für eine mutige Politik und für verlässliche, geduldig verhandelte und entschiedene Vereinbarungen.

Es ist gut, sich an dies gerade auch heute zu erinnern. Denn wir feiern unseren Nationalfeiertag mit Blick auf die deutsch-russischen Beziehungen in Zeiten in denen, wie Außenminister Maas dies ausgedrückt hat, einige “dunkle Wolken„ aufgezogen sind.
Ich möchte gerade auch heute klar sagen: Ja, unsere Regierungen haben in sehr wesentlichen Fragen erhebliche Auffassungsunterschiede.
Es ist in den vergangenen Jahren und Monaten viel, ja sehr viel Vertrauen verloren gegangen.
Ich hoffe sehr, dass dies bald wieder aufgebaut werden kann.
Denn ich bin überzeugt: Es ist und bleibt in unserem beiderseitigen Interesse, dass sich ein gutes Miteinander zwischen unseren Ländern entwickelt:
weil wir zur Lösung vieler aktueller Probleme und Konflikte in der Welt gemeinsame Ansätze brauchen
und weil die großen Zukunftsfragen in unserer globalisierten Realität nach Zusammenarbeit rufen.
Aber: unabdingbar bleibt die verlässliche Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts.

Ja, ein gutes deutsch-russisches Miteinander ist im Interesse der Menschen, von Russen und Deutschen, die einander auf eine ganz besondere, positive Art zugewandt sind – als Deutscher Botschafter hier in Russland darf ich das immer wieder erleben.

Beispiel Wirtschaft: derzeit sind im russischen Markt über 4000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung aktiv. Sie schaffen über 140.000 gute Arbeitsplätze.
Deutsche Produkte setzen auf Qualität – und werden geschätzt. Und die Deutsche Wirtschaft schätzt die Partnerschaft mit Russen. Bei den deutschen Firmen, die unseren Nationalfeiertag heute unterstützen, bedanke ich mich ganz besonders.

Beispiel Wissenschaft: große, langfristig angelegte gemeinsame Forschungsprojekte laufen hervorragend - sei es im Weltall oder im Packeis. Fast 1000 Partnerschaften zwischen Hochschulen und Universitäten zeigen die Tiefe der Bildungskooperation.

Beispiel Kultur: Fast 2 Millionen Russen erlernen die deutsche Sprache.
Das Interesse am kulturellen Austausch ist groß, das Netz von Partnerschaften zwischen kulturellen Einrichtungen ist dicht und lebendig.
Die Russlanddeutschen, die in beiden Kulturen verwurzelt sind, stellen eine besondere Brücke zwischen unseren Ländern dar.
Hinzu kommen über 100 Partnerschaften zwischen Städten und Regionen unserer beiden Länder.

Ich erwähne all dies, da all diese Beispiele getragen werden vom Engagement der Menschen, von Unternehmen, Schulen, Vereinen und Institutionen – vom soliden und so wertvollen Engagement der Menschen quer durch die Gesellschaften.
Ich bin jeder und jedem Einzelnen dankbar!

Dieses Miteinander der Menschen steht auch im Mittelpunkt des Deutschlandjahres in Russland, das vor wenigen Tagen begonnen hat und bis zum kommenden Sommer dauern wird.
In zahlreichen Veranstaltungen und Projekten wird viel Deutschland nach Russland gebracht.
Gemeinsam mit dem Goethe Institut, unserer russisch-deutschen Auslandshandelskammer und vielen deutschen und russischen Partnern wollen wir den Menschen in Russland zeigen, was das heutige Deutschland ausmacht:
Vielfalt und Toleranz und Weltoffenheit.
Es geht um die Leistungen der deutschen Wirtschaft, die Exzellenz der deutschen Bildung, Kultur und Wissenschaft ebenso wie um die Vielfalt der Meinungen und Lebensweisen, und den Wettbewerb der Ideen auf der Suche nach den besten Lösungen.
Machen Sie mit bei unserem vielfältigen Angebot, lassen Sie sich begeistern von den großen Kulturdarbietungen und ebenso vom Schwung unzähliger kleinerer Projekte.
Das Deutschlandjahr ist jung und frisch und schaut mit Elan in die Zukunft.
Werden Sie Teil des Deutschlandjahres in Russland!

Ich hoffe, dass das Deutschlandjahr zu vielen Begegnungen der Menschen führt, zum Austausch und zum Dialog –
zu einem Dialog, der offen ist, sich über Gemeinsamkeiten freut und Unterschiede nicht kaschiert, der zugleich aufmerksam ist und respektvoll.

Und als Botschafter des Landes, das derzeit die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union innehat, hoffe ich, dass das Deutschlandjahr auch zeigt, wie fest Deutschland heute in Europa verankert ist –
in einem Europa, das vor allem anderen zusammengehalten wird von Werten, die auch weit über die EU hinaus gelten und wirken, die die Regeln und Prinzipien des Europarates und der OSZE prägen, zwei Organisationen, denen Russland ja auch angehört,
Werten, die uns verbinden sollen,
Werten, auf deren Basis Vertrauen entstehen kann und eine mutige Politik,
Werten, denen die Einheit Deutschlands und Europas zu verdanken ist.

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