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Videoansprache des Botschafters von Geyr für die digitale Rubrik des Deutsch-Russischen Forums „Zum Gedenken: “75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs„

Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr

Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr, © Deutsche Botschaft Moskau

06.05.2020 - Rede

In diesen Tagen und Wochen erinnern wir uns an das Ende des wohl schrecklichsten aller Kriege, der von Nazi-Deutschland entfacht worden war und unermessliches Leid brachte über Europa, die ganze Welt, und auch für die Menschen in Deutschland selbst.

Vieles wird dieser Tage gesagt und geschrieben; ich möchte drei Gedanken mit Ihnen teilen:

Mein erster Gedanke: Der Wert der Erinnerung

Auch nach 75 Jahren muss die Erinnerung aufrechterhalten und weitergegeben werden an die nächsten Generationen – die Erinnerung an das, was war, und was nie wieder sein darf.

Für uns Deutsche war und bleibt diese Erinnerung schmerzlich und bitter.

Aber ich bin überzeugt: Nach dieser dunkelsten Zeit unserer Geschichte konnte Deutschland wieder ein geachtetes Mitglied der Völkergemeinschaft werden, gerade weil wir gelernt haben, einen unverstellten, ehrlichen Blick zurück zu tun.

Dieser Umgang mit der Erinnerung ist Teil unseres Heute.

Denn: Aus dieser Erinnerung erwuchs als Lehre der wichtigste Satz unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dies beschreibt den Wert der Erinnerung.

Zugleich ist sie auch Auftrag und Mahnung:

Kein Land, keine Nation kann ihrer Geschichte entfliehen. Die Bereitschaft zur ungeschminkten geschichtlichen Wahrhaftigkeit ist Voraussetzung für Versöhnung.

Mein zweiter Gedanke: Der Wert der Versöhnung

Ich durfte zu Anfang dieses Jubiläumsjahres an der Gedenkfeier im ehemaligen Stalingrad teilnehmen und am Holocaust-Gedenken in Moskau und Jekaterinburg.

Als Deutscher Botschafter ist es bewegend zu spüren, was Versöhnung bedeutet.

So unfassbar die Opferzahlen von Krieg und Terror waren, so unfassbar wertvoll war und ist für uns die Bereitschaft der Menschen zur Versöhnung. Wir bleiben dafür aufrichtig dankbar.

Diese Opfer wurden damals von vielen gemeinsam erbracht, an unzähligen Orten und Schlachtfeldern – dabei ganz maßgeblich von den Völkern der ehemaligen Sowjetunion.

Auschwitz und Berlin wurden von sowjetischen Truppen befreit, Dachau und München von amerikanischen, in Torgau trafen sich die Truppen, und auf den Ruinen Europas konnte Versöhnung beginnen, Dank auch der britischen und französischen Alliierten.

Über Jahre und Jahrzehnte: unzählige Gesten, Projekte, große symbolische Begegnungen und kleine, der einzelnen Menschen, jede mindestens genauso wichtig.

Auch diese Versöhnung bleibt für uns Auftrag. Zwei aktuelle Beispiele:

In Sankt Petersburg unterstützt Deutschland in diesem Gedenkjahr ein Krankenhaus, in dem Opfer der furchtbaren Blockade des damaligen Leningrads gepflegt werden. Zugleich unterstützen junge Deutsche betagte ehemalige Blockadeopfer für einige Wochen im täglichen Leben.

Und: Dieser Tage habe ich in Moskau stellvertretend erste digitalisierte Datensätze über Millionen sowjetischer Kriegsgefangener aus deutschen Archiven an den Sonderbeauftragten des russischen Präsidenten übergeben – auch dies ein Projekt unserer Außenminister, ein Projekt, das der historischen Wahrhaftigkeit und Versöhnung dienen soll und hoffentlich auch Familien den Schmerz der Ungewissheit lindern wird, über das Schicksal ihrer Vorfahren.

Mein dritter Gedanke: Der Wert der Gemeinsamkeit

Vor 75 Jahren gelang der Sieg auf den europäischen und asiatischen Kriegsschauplätzen in Gemeinsamkeit. Darauf haben auch die Präsidenten Putin und Trump in Erinnerung an das Treffen von Torgau hingewiesen.

Der Sieg gelang gemeinsam und auch die Aufgabe eine friedliche Welt zu gestalten war damals eine gemeinsame - und diese Aufgabe bleibt auch heute eine gemeinsame Verantwortung aller.

In Europa gelang, was nach dem Ersten Weltkrieg keinen Erfolg gebracht hatte, die Europäische Integration, deren Leistung als eines der größten Friedensprojekte ihren Beitrag zum ökonomischen Wohlstand bei Weitem überstrahlt.

Zugleich blieb unser Kontinent, blieb Deutschland, blieb die deutsche Hauptstadt über Jahrzehnte schmerzlich geteilt und auf Menschen wurde auf der Flucht von Ost nach West geschossen. Auf dem halben Kontinent brachte der Frieden den Menschen keine Freiheit.

Wenn wir Deutsche in diesem Jahr 30 Jahre unserer friedlichen Wiedervereinigung feiern, dann auch im Bewusstsein, dass Frieden und Freiheit zusammengehören.

Die Erinnerung an das Ende des Krieges 1945 zeigt uns den Wert des Miteinanders.

Der Wille zur Gemeinsamkeit muss sich auch heute bewähren, angesichts der vielen Herausforderungen auf unserer globalisierten Welt, angesichts des vielen Leids, das es zu lindern gilt, angesichts von Kriegen und Konflikten, Klimafragen und Pandemien.

Und die Erinnerung an das Ende des Krieges 1945 zeigt uns auch den Wert eines guten, zukunftsgewandten und vertrauensvollen Miteinanders der Menschen in Deutschland und Russland.

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