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Interview von Botschafter Graf Lambsdorff mit einem russischen Medium am 28.04.2025

Interview von Botschafter Graf Lambsdorff, © Deutsche Botschaft Moskau / Nikita Markov
Ein russisches Medium interviewte vergangene Woche Botschafter Graf Lambsdorff – und entschied sich dann, das Interview nicht zu veröffentlichen. Wir bedauern das. Das Interview in Gänze können Sie hier lesen.
– Deutschland bekommt bald einen neuen Bundeskanzler. Glauben Sie, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland unter Friedrich Merz besser oder zumindest konstruktiver werden könnten?
– Die Wahl war Ende Februar, seitdem haben sich die Parteien auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Am 6. Mai muss dann erst noch der Deutsche Bundestag die Regierung wählen. Insofern befinden wir uns jetzt genau in diesem Übergangsprozess, dem ich jetzt nicht vorgreifen kann.
Aber ich will Eines sagen: Wenn die Gespräche zur Beilegung des Krieges in der Ukraine erfolgreich sind, wenn es wirklich gelingen sollte, zu einem umfassenden Waffenstillstand zu kommen, dann gibt es vielleicht die Möglichkeit, dass sich die Beziehungen verbessern. Das liegt dann aber nicht daran, dass Deutschland seine Position fundamental verändern würde, sondern das würde daran liegen, dass Russland seine Angriffe auf die Ukraine dann einstellt.
– Welchen Ausweg sieht Deutschland aus dem aktuellen Konflikt in der Ukraine?
– Hier ist es erst einmal wichtig, den richtigen Begriff zu verwenden. Eine Krise oder einen Konflikt gibt es zwischen vielen Ländern. Was wir in der Ukraine haben, ist ein Krieg. Dieser Krieg kann dann enden, wenn es gelingt, einen dauerhaften und stabilen Frieden zu erreichen. Der Weg zu einem dauerhaften und stabilen Frieden führt über einen umfassenden Waffenstillstand ohne Vorbedingungen. Die Ukraine ist hierzu bereit. Leider hat die russische Seite dieses Angebot bisher abgelehnt. Aus dem Kreml ist immer zu hören, man sei zwar im Prinzip für den Frieden, aber es gebe noch so viele Details, Nuancen und Einzelfragen, weswegen man einem Waffenstillstand jetzt nicht zustimmen könne. Das sehen wir anders. Wir fordern die russische Regierung auf, das ukrainische Angebot für einen umfassenden Waffenstillstand anzunehmen.
– Gerade heute hat der russische Präsident Wladimir Putin offiziell eine Waffenruhe zu Ehren des 80. Jahrestages des Sieges verkündet. Ist das nicht ein Schritt in Richtung Waffenstillstand?
– Es kann vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs nicht überraschen, dass diese einseitig verkündete Waffenruhe in der Ukraine auf wenig Vertrauen trifft. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass diese dreitägige Waffenruhe dem Schutz der Feierlichkeiten des 9. Mai in Moskau und anderen russischen Städten dienen soll, als dass er einen Weg in Richtung Frieden in der Ukraine weisen könnte. Es ist an Russland, auf das auch von den USA unterstützte ukrainische Angebot einer bedingungslosen Waffenruhe einzugehen.
– Welche Schritte könnten aus deutscher Sicht die Spannungen zwischen Russland und der NATO abbauen?
– Das ist eine fundamentale Frage für die Zukunft der europäischen Sicherheitsordnung. Ich höre natürlich sehr aufmerksam zu, wann immer Außenminister Lawrow sagt, wir müssten über die Grundursachen des Konflikts sprechen. Diese Grundursachen sind darin zu sehen, dass Russland sich bisher nicht bereiterklärt hat, zu akzeptieren, dass die Länder, die aus dem Untergang der Sowjetunion entstanden sind, eine eigene nationale Identität, Kultur und Geschichte haben und dass diese Länder auch Rechte haben: das Recht auf territoriale Integrität, das Recht auf Souveränität, das Recht sich ihre Freunde auszusuchen und nach ihrer eigenen souveränen Entscheidung Allianzen beizutreten. Diese Allianz kann zum Beispiel die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit oder die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit sein, das kann aber auch die NATO sein oder die EU. Diese Länder haben das Recht, ihre Zukunft selbst zu gestalten und Russland hat nicht das Recht, Truppen gegen den Willen der Regierungen in diesen Ländern zu stationieren. Wir brauchen nur an Georgien zu denken, wo in Abchasien und Südossetien russische Truppen stehen, wir können an Moldau denken, wo in Transnistrien gegen den Willen der Regierung in Chişinău russische Truppen stehen und wir müssen natürlich an die Ukraine denken, die derzeit Opfer eines russischen Angriffskriegs ist. Wenn Russland bereit ist, die Grundursachen anzuerkennen, die den Spannungen mit der NATO zugrunde liegen, nämlich das Recht jedes Landes, souverän über seine eigene Zukunft zu entscheiden, dann wären die Spannungen zwischen Russland und der NATO erheblich niedriger, als sie es im Moment sind.
– Wie steht Deutschland zur Wiederaufnahme der Kontakte zwischen Russland und den USA?
– Diese Kontakte befürworten wir. Wir begrüßen auch, dass Präsident Trump sich entschlossen hat, so viel Energie in die Beendigung dieses Krieges zu investieren. Wir hoffen, dass er erfolgreich ist. Wir sind mit den Amerikanern in sehr engen Gesprächen, gerade wieder in Paris und London, natürlich immer zusammen auch mit der Ukraine. Wir begrüßen natürlich auch, dass sich Präsident Trump und Präsident Selensky im Vatikan getroffen haben, um ihre Gespräche fortzusetzen. Das war in unseren Augen ein sehr gutes und wichtiges Zeichen. Gleichzeitig begrüßen wir es, dass Präsident Trump eine solch klare Aufforderung an Präsident Putin geschickt hat, die Angriffe auf zivile Infrastruktur in der Ukraine zu beenden. Auf Truth Social hat er geschrieben: „Wladimir, STOP!“ – klarer kann eine Aufforderung an den russischen Präsidenten nicht sein. Das sehen wir sehr positiv und werden als Europa, in enger Abstimmung mit Partnern, unseren Beitrag für einen verlässlichen und dauerhaften Frieden leisten.
– In Russland wird demnächst der 80. Jahrestag des Sieges groß gefeiert. Wie wird der Tag des Sieges heute in Deutschland wahrgenommen? Hat sich die offizielle Haltung in den letzten Jahren verändert?
– Nein, das Verhältnis Deutschlands zu diesem Datum hat sich nicht verändert. Die wirklich wichtige Veränderung war vor 40 Jahren, als Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Mai 1985 in einer Rede ganz klar gesagt hat, dass wir den 8. Mai nicht als Niederlage verstehen, sondern als Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Zum 80. Jahrestag ist dieses Jahr der 8. Mai sogar ein gesetzlicher Feiertag, um die besondere Bedeutung dieser Befreiung zu unterstreichen. In diesem Zusammenhang will ich auch deutlich sagen, dass wir in Deutschland der unzähligen Opfer in Russland, in der Ukraine und Belarus, die alle unter dem nationalsozialistischen Terror gelitten haben, gedenken. Genauso wie das für alle anderen Länder gilt, die Opfer dieses verbrecherischen Angriffskrieges Deutschlands waren.
– Das offizielle Berlin hat nicht die Absicht, an den Feierlichkeiten anlässlich des Siegestages in Russland teilzunehmen. Was ist der Grund dafür? Der 80. Jahrestag des Sieges ist doch eines der wichtigsten Ereignisse für unser Land.
– Diese Antwort ist sehr einfach: Wir sind nicht eingeladen. Die russische Regierung meint, dass Deutschland als sogenannter „unfreundlicher“ Staat einzustufen ist und hat uns deswegen nicht eingeladen. Ich will aber in diesem Zusammenhang sagen, dass ich am 25. April mit vielen anderen Botschaftern Blumen am Grab des unbekannten Soldaten niedergelegt habe, um der Gefallenen und Opfer des 2. Weltkrieges zu gedenken, insbesondere der Soldaten der Roten Armee.
– Wird die neue Bundesregierung Verhandlungen über die Wiederherstellung von Nord Stream aufnehmen?
– Solange Russland Krieg gegen die Ukraine führt, wird es keine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen geben können. Insofern hängt alles daran, dass die russische Regierung sich jetzt ernsthaft – ich möchte das Wort „ernsthaft“ wirklich betonen – auf einen umfassenden, bedingungslosen Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden zubewegt. Das, was wir derzeit sehen, ist eine Simulation von Friedensbemühungen. Was wir erwarten, ist eine ernsthafte Bewegung in diese Richtung, die über Taktieren und Verzögern hinausgeht.
– Wie werden Russen in Deutschland behandelt? Es ist klar, dass die Touristenströme in den letzten Jahren zurückgegangen sind, aber hat sich die Einstellung der Deutschen gegenüber Russen verschlechtert?
– Hier muss man einen Schritt zurückgehen: Bei uns in Deutschland leben 3,5 Millionen Menschen, die familiäre Wurzeln in der Sowjetunion haben, also Menschen aus Russland, aus Kasachstan oder aus der Ukraine. Das sind Berufstätige, das sind russlanddeutsche Familien, es sind ganz viele andere Immigranten, die zu uns gekommen sind. Wenn man sich also in Deutschland bewegt, besonders in großen Städten wie Berlin oder Köln, sieht man russische Supermärkte und russische Zeitungen, überall auf den Theater-, Opern- und Ballettbühnen gibt es russische Künstlerinnen und Künstler. Es gibt überhaupt keine feindseligen Gefühle in Deutschland gegenüber Menschen, die aus Russland zu uns kommen – im Gegenteil, es ist in Deutschland ein gutes und harmonisches Zusammenleben, und ich glaube, dass russische Touristen, die nach Deutschland kommen, erstaunt sein werden, wenn sie sehen, wie die Realität des deutsch-russischen Zusammenlebens in der Praxis jeden Tag funktioniert.
– Derzeit ist es sehr schwierig, ein Einreisevisum für Deutschland zu erhalten. Sind Erleichterungen oder vereinfachte Antragsverfahren für Touristen geplant?
– Wer einen guten Grund für seine Reise hat, kann auch weiterhin ein Schengenvisum der deutschen Botschaft erhalten. Gute Gründe sind zum Beispiel Familienbesuche, Geschäftsreisen und humanitäre Gründe. Wir haben auch den politischen Gefangenen, die im Rahmen des Austausches im August 2024 nach Deutschland gekommen sind, natürlich sehr schnell eine Aufenthaltsberechtigung gegeben. Wir verteilen auch weiter Visa für beruflich besonders hochqualifizierte Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen. Wir haben im letzten Jahr noch ungefähr 23.000 Schengen-Visa ausgegeben und ungefähr 10.000 nationale Visa für längere Aufenthalte.
– Haben Sie ein russisches Gericht, das Sie besonders gerne mögen?
– Ich liebe diese russische Sakuski-Kultur. Das ist für Deutsche immer so, dass sie glauben, das sei schon der Hauptgang, weil so viele Sakuski dastehen, die so gut schmecken: der geräucherte Fisch, das Fleisch, das Gemüse. Das finde ich ganz wunderbar.
Ich habe auch von den russischen Supermärkten in Deutschland gesprochen. Wenn ich in Berlin bin, kaufe ich mir regelmäßig Pelmeni, weil ich die besonders gerne mag und der Supermarkt, in dem ich einkaufe, heißt „Rossija“.
Ich war das erste Mal 1982 in Russland, als Teenager, als meine Eltern hier gelebt haben. Damals haben wir Blini aus Buchweizen bekommen und die fand ich super. Bei Kascha aus Buchweizen verstehe ich, dass die Geister sich scheiden. Ich persönlich mag es, aber es gibt mir sehr nahestehende Menschen, die mögen es überhaupt nicht. Insofern ist das eine sehr individuelle Präferenz.