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Grußwort von Botschafter von Geyr anlässlich der Podiumsdiskussion „Die Tragödie der Kriegsgefangenschaft: Die Suche nach personenbezogenen Informationen zu sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs“
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Pawlenko
Sehr geehrter Herr General Kirilin
Sehr geehrter Herr General a.D. Schneiderhan
Sehr geehrte Frau Dr. Winkel,
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Christoforow,
verehrte Anwesende,
Ich danke Ihnen für die Einladung zur Teilnahme an der deutsch-russischen Podiumsdiskussion „Die Tragödie der Kriegsgefangenschaft: Die Suche nach personenbezogenen Informationen zu sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs“ und würde gerne zu diesem Anlass einige Gedanken mit Ihnen teilen.
Stepan Lazarew, Vater von vier Kindern, verteidigte als Soldat der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg sein Land und seine Familie. Im März 1943 geriet er in Kriegsgefangenschaft und wurde in das Lager Stalag 326 in Stukenbrock verbracht. Dort musste er Zwangsarbeit leisten unter unmenschlichen Bedingungen. Nach einem Jahr starb er im Lager.
Sein Schicksal steht für viele. Es steht für fast dreieinhalb Millionen sowjetische Kriegsgefangene, die während des Kriegs in deutschen Lagern und Arbeitskommandos ihr Leben verloren.
In wenigen Tagen jährt sich der Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion zum 80. Mal. Hierzu wird es viele Veranstaltungen, auch in Deutschland, geben.
Hier in Russland findet derzeit schon seit vergangenem September ein Deutschlandjahr in Russland statt.
Mir ist wichtig, dass mit der heutigen Veranstaltung auch ein derart schwieriges Thema Teil des Deutschlandjahres ist. Wir wollen Deutschland hier in Russland so zeigen, wie es heute ist. Nicht nur, wie es glänzt, sondern auch wie mein Land heute mit den unfassbaren Verbrechen im Zweiten Weltkrieg umgeht, mit dem Leid so vieler Millionen, für die wir Verantwortung tragen. Wir wollen zeigen, wie wir umgehen mit diesem Tiefpunkt unserer Geschichte.
Deutschland bekennt sich zu seiner Verantwortung, das ist so und das wird auch so bleiben. Bundesminister Maas hat dies in seinem Grußwort ja gerade eben auch betont.
Deutschland versteht diese Verantwortung auch als Verpflichtung, diesen furchtbaren Teil unserer Geschichte nicht zu vergessen, sondern auch aufzuarbeiten, zu bewahren, weiterzugeben und Lehren aus dieser Zeit zu ziehen.
Das Deutsch-Russische Projekt, um das es heute geht, leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Vor gut einem Jahr konnte ich hier in Moskau 20.000 Dokumentenkopien aus dem Deutschen Bundesarchiv an unsere russischen Partner übergeben. Die Arbeiten sind seither weiter fortgeschritten. Weitere Bestände wurden in deutschen Archiven digitalisiert und übergeben. Und auch in russischen Archiven erfolgen gemeinsame Recherchearbeiten zur Klärung des Schicksals von Kriegsgefangenen.
Dieses Projekt hat für mich große Bedeutung. Zum einen menschlich, weil Familien endlich Gewissheit erhalten können, was genau mit ihren Vorfahren geschah. Aber auch politisch und, wenn man so will, geschichtspolitisch.
Dieses Projekt zeigt, dass Gedenken und Versöhnen ein zentrales Element im deutsch-russischen Verhältnis sind. Dieses Miteinander im Gedenken und Versöhnen ist solide, es ist für uns wichtig und es ist kostbar.
Archivkooperation, Geschichtswissenschaft, beschäftigt sich nicht nur mit der Vergangenheit, sie schafft auch Zukunft. Entscheidend dafür ist, wie mit der Vergangenheit umgegangen wird. Deshalb ist der gemeinsame Ansatz so wichtig. Die gemeinsame Betrachtung der Fakten, der Archivmaterialien schafft Vertrauen und Verständnis. Und der gemeinsame Ansatz schafft den Raum für einen offenen, ehrlichen und konstruktiven Dialog der Experten.
Dies schafft die Basis für Bewertungen und Einordnungen, die von den Quellen ausgehen und auch bittere Erkenntnisse akzeptieren. Historiker müssen den Quellen verpflichtet sein und der Wahrhaftigkeit.
In diesem Jahr wird es weitere Anlässe geben, auch im Rahmen des Deutschlandjahres, bei dem es mir wichtig ist, dass wir zeigen, wie wir Deutsche unsere Erinnerungskultur zu diesen Untiefen unserer Geschichte verstehen. Wir bewahren die Erinnerung an das, was war, gut und geben sie weiter, auch an junge Generationen, damit es nie wieder so wird.
Dazu zählt die Umsetzung der humanitären Geste, die ebenfalls unsere Außenminister vereinbart haben für die Opfer der Blockade von Leningrad und dazu werden Veranstaltungen zählen zum 75. Jahrestag der Urteile im Nürnberger Prozess. Und dazu zählt ganz besonders die Ausstellung mit dem Titel „Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg – Dimension eines Verbrechens“, eine Ausstellung, die in zwei Tagen vom Bundespräsidenten im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst eröffnet wird.
Zum Schluss nochmals zu den Lehren aus diesem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte. Für uns Deutsche eine der zentralen Lehren, aus dem unfassbaren Grauen der Nazidiktatur, ist und bleibt, dass wir nicht wegsehen können und wollen, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden, ob bei uns oder woanders auf der Welt. Dies ist auch Auftrag aus dem weltweit gültigen Regelwerk der Menschenrechte und keine Einmischung in innere Angelegenheiten.
Ich hatte am Anfang das Schicksal von Stepan Lazarew erwähnt. Seine Urenkelin Marina Mehlis aus Moskau hat im vergangenen Jahr die Gedenkstätte Stukenbrock in Deutschland besucht. Sie konnte dort im Archiv die Häftlingsakte ihres Urgroßvaters einsehen und sie konnte seine letzte Ruhestätte aufsuchen. In einem bewegendem Video hat sie sich ausgesprochen für Versöhnung, für die Bewahrung der Erinnerung, damit sich die Schrecken des Krieges nicht wiederholen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.