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Botschafter von Geyr zur Eröffnung des Kaminabends „Jenseits des Vergessens – Kriegsgefangene in der Erinnerungskultur in Russland und Deutschland“
Botschafter von Geyr, © Deutsche Botschaft Moskau / Rainer Lawitzki
Am 03. März 2020 in der Residenz
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Präsident Schneiderhan,
Sehr geehrter Herr Artisow,
sehr geehrter General Kirillin,
sehr geehrter Herr Tarassow,
liebe Gäste,
herzlich willkommen in der deutschen Residenz!
Erinnern und Versöhnen – das sind zwei ganz wesentliche, bestimmende Elemente im deutsch-russischen Verhältnis. Ich erlebe dies immer wieder. Nicht nur, aber ganz besonders auch im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg.
Als deutscher Botschafter bin ich sehr dankbar, dass uns Deutschen in Russland viel Wohlwollen entgegengebracht wird, dass nach dem Grauen, das die Nazi-Diktatur auch hierher gebracht hatte, Versöhnung möglich wurde. Dies ist keine Selbstverständlichkeit.
Erinnerung und Versöhnung gehören zusammen.
In seiner Rede zum Gedenken an den 80. Jahrestag des Kriegsbeginns sagte Bundespräsident Steinmeier vergangenen September in Warschau:
Nein, die Vergangenheit ist nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Je länger dieser Krieg zurückliegt, desto wichtiger wird das Erinnern. Ein Krieg ist beendet, wenn die Waffen schweigen. Seine Folgen aber sind ein Erbe für Generationen. Dieses Erbe ist ein schmerzhaftes Erbe. Wir Deutsche nehmen es an, und wir tragen es weiter.
Deshalb bin ich besonders froh, dass heute Abend auch viele junge Gäste unter uns sind – die Erinnerung muss wachgehalten werden und fortleben.
Und genau deshalb erinnern wir auch hier in Russland, mit Achtung und Respekt an das unfassbare Leiden so Vieler in Europa und weit darüber hinaus infolge der Verbrechen der Nazi-Herrschaft und des schrecklichsten aller Kriege, der von Deutschland ausging und an die ungeheuren Opfer, die viele, darunter ganz maßgeblich die Völker der Sowjetunion für die Überwindung des Nationalsozialismus erbracht haben.
Zugleich muss es immer auch darum gehen, Lehren aus der Geschichte zu ziehen.
Hierzu einige wenige Bemerkungen:
- Geschichtsforschung beschäftigt sich immer auch mit der Gegenwart und mit der Zukunft.
Geschichtsforschung ist immer auch Zukunftsforschung. - Geschichtsforschung braucht den Willen zur Wahrhaftigkeit.
Sie muss ihr Urteil aus der Vielzahl der Quellen und Fakten entwickeln – sie darf nicht von einem gewünschten Ergebnis her denken. Sie muss Offenheit wahren und sie muss ungeschminkt sein. - Historiker wissen: Geschichtsforschung kann zur Versöhnung beitragen, ja diese prägen – aber sie kann auch Zerstörungskraft entwickeln.
- Für uns Deutsche ist der Umgang mit Geschichte Teil der Lehren aus unserer Geschichte.
Der Wille zur Versöhnung zeigt sich auch im Bemühen um gemeinsame Aufarbeitung schwieriger Epochen der Geschichte zweier Länder.
Der gemeinsame Blick auf die Geschichte ist oft mühsam, ja schmerzlich – aber er ist enorm wichtig, gerade auch in politisch fordernden Zeiten.
Das Bemühen um eine gemeinsame Sicht kann und soll auch Vertrauen schaffen, und damit die Bereitschaft voranbringen zu einem offenen, ehrlichen und konstruktiven Dialog, auch zu schwierigen aktuellen Fragen.
Deutschland ist mit seinen Nachbarn, etwa mit Frankreich und Polen, einen solchen Weg gegangen, der nicht immer einfach war und ist, der es aber in vielen Bereichen und auch mit viel Geduld geschafft hat zusammenzubringen, oder anzunähern, was oft weit voneinander entfernt war.
Und auch Deutschland und Russland haben mit gemeinsamen Ansätzen – und darüber freue mich sehr – Erfolge erzielt.
Drei aktuelle Beispiele möchte ich nennen:
- Es ist uns gelungen, in den vergangenen Jahren ein gemeinsames deutsch-russisches Geschichtsbuch zum 18. - 20. Jahrhundert zu verfassen.
Ich danke Ihnen, Herr Prof. Dr. Tschubarjan, Frau Dr. Dahlke und Herrn Prof. Katzer stellvertretend für die Deutsch-Russische Historikerkommission für dieses wichtige Projekt. - Die Außenminister Russlands und Deutschlands haben im vergangenen Jahr vereinbart, dass Deutschland eine ganz besondere humanitäre Geste für die Opfer der unmenschlichen Blockade von Leningrad leistet. Die praktische Umsetzung läuft an, es geht um medizinische Hilfe für Überlebende, und es geht auch um Begegnungen der Menschen, zwischen Blockadeopfern und jungen Deutschen.
- Unsere Außenminister haben im vergangenen Jahr auch eine Vereinbarung zur gemeinsamen Erforschung und Nutzung von Daten sowjetischer und deutscher Kriegsgefangener und Internierter getroffen. Wir hoffen, noch im April Tausende von Angaben zu sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern an die russische Seite übergeben zu können - und damit zur so wichtigen Schicksalsklärung als Grundlage - auch hier - für Erinnerung und Versöhnung beizutragen.
Heute Abend widmen wir uns – gemeinsam – einem besonders sensiblen, komplexen und sehr persönlichen Thema unserer gemeinsamen Geschichte:
Es geht um Erinnerungskultur, um die Rolle, die Kriegsgefangene in der deutschen und in der russischen Erinnerungskultur spielen.
Wir wollen dies auf mehrerlei Weise beleuchten:
- Wir werden einen Vortrag hören über „das Gedächtnis des Krieges und der Nation“ von Wladimir Tarasow, dem Direktor des Staatlichen Militärarchivs der Russischen Föderation,
- Ausschnitte deutscher und russischer Filme über Kriegsgefangene sehen,
- eine Podiumsdiskussion über Erinnerungskultur mit deutschen und russischen Vertreterinnen der Zivilgesellschaft erleben,
- wir können zwei Präsentationen im Foyer betrachten: über Schicksale russischer Kriegsgefangener aus der Ausstellung „Erinnerungsbrücke“ und Original-Dokumente des in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gewesenen Großvaters meines Kollegen Joachim Knodt
- und wir werden ganz besondere Musik dargeboten bekommen: Auszüge aus dem „Quartett für das Ende der Zeit“ von Olivier Messiaen, entstanden und uraufgeführt in einem deutschen Lager für französische Kriegsgefangene.
Abschließen möchte ich mit einem weiteren Beispiel für die Komplexität und Emotionalität des Themas Kriegsgefangenschaft:
Es geht um Fritz Walter, den unvergesslichen Fußballer, einer der größten Sportpersönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts, einem Symbol der Nachkriegsjahre.
Er geriet 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Bei einem Fußball-Spiel im Lager gegen die Wachmannschaft wurde er erkannt. Der sowjetische Lagerkommandant verhinderte, dass Fritz Walter nach Sibirien deportiert wurde und ermöglichte später seine Entlassung.
1954 wurde die deutsche Nationalmannschaft unter ihrem Kapitän Fritz Walter Weltmeister.
Und nur ein Jahr später kam er mit der Weltmeister-Mannschaft nach Moskau zu einem Freundschaftsspiel, bei dem er vor 100.000 Zuschauern ein Tor erzielte. Dieses Spiel erfolgte im Vorfeld des historischen Besuchs von Bundeskanzler Adenauer, der im gleichen Jahr die Heimkehr der letzten deutschen Kriegsgefangenen ermöglichte.
Wir werden Ende April, hier in der Residenz, gemeinsam mit dem Deutschen Fußballbund, der Fritz-Walter-Stiftung und dem Russischen Fußballverband dieser faszinierenden deutsch-russischen Verbindung eine eigene Veranstaltung widmen.
Für die gemeinsame Ausrichtung des heutigen Abends danke ich dem VdK – dem VdK, dessen Arbeit beiträgt zu Erinnerung und zu Versöhnung, ja dessen Arbeit beispielhaft steht dafür, dass Erinnerung und Versöhnung zusammengehören. Gerade auch Ihre wichtige Arbeit hier in Russland zeigt dies.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.