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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der Vereinbarten Debatte über die Nationale Sicherheitsstrategie im Bundestag

Bundestag

Außenministerin Annalena Baerbock bei der Vereinbarten Debatte über die Nationale Sicherheitsstrategie im Bundestag, © picture alliance/dpa | Rabea Gruber

17.10.2024 - Rede

„Ziel ist: Mehr als die Hälfte der Deutschen soll Angst vor der Zukunft haben.“

Das war nur einer der Arbeitsaufträge an die russische Propagandaagentur SDA, die letzten Monat aufgedeckt wurden.

Während andere, normale Unternehmen sich hier bei uns oder überall auf der Welt Ziele setzen für die Produktion von Schrauben oder für Kundenbesuche pro Monat, setzen sich Unternehmen in Putins Russland das Ziel, unsere deutsche Gesellschaft zu spalten, unser Land damit ins Wanken zu bringen.

Das zeigt: Wenn wir dieser Tage über Frieden reden, dann dürfen wir den Blick nicht auf das rein Militärische verengen. Sicherheit und damit Frieden betreffen alle Bereiche unserer Gesellschaft.

Als Putin im Februar 2022 seinen Krieg begann, da hat er nicht nur die Ukraine mit Panzern, Raketen und Drohnen angegriffen. Er hat auch uns Europäerinnen und Europäer, uns Demokratinnen und Demokraten, die Unterstützer der regelbasierten internationalen Ordnung, der Freiheit weltweit zum Gegner erklärt.

Die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens hat daher die Arbeit an unserer ersten deutschen Nationalen Sicherheitsstrategie geprägt - wehrhaft, resilient, nachhaltig.

Es wäre nach dem 24. Februar 2022 leicht gewesen, zu sagen: Was bringt uns jetzt so ein mühsamer Strategieprozess? Wir konzentrieren uns aufs Krisenmanagement und allein auf den Krieg in unserer Nachbarschaft.

Aber wir haben uns ganz bewusst entschieden - und zwar alle demokratischen Parteien hier gemeinsam -, dass wir mit dieser ersten Nationalen Sicherheitsstrategie für die Bundesrepublik Deutschland nicht im Tunnelblick verharren können, sondern dass wir Sicherheit gerade jetzt integriert und ressortübergreifend für die gesamte Gesellschaft in langen Linien denken müssen.

Die Unterstützung für die Ukraine und der Schutz vor Bedrohung jenseits dieses konkreten Krieges sind für uns essenziell.

Das beinhaltet die Anfälligkeit von Lieferketten. Das beinhaltet, dass wir Destabilisierung und Fake News endlich als Angriff gegen unsere Gesellschaft wahrnehmen.

Das beinhaltet, dass wir sehen, dass die Klimakrise nicht nur die größte Sicherheitskatastrophe auf dieser Welt ist, sondern auch ein Treiber für Konflikte weltweit.

Wehrhaftigkeit und Stärkung unserer Demokratie sind daher Kern dieser Strategie.

Klar ist auch: Eine Nationale Sicherheitsstrategie ist keine Bedienungsanleitung, die uns in jeder Situation sagt: Wenn Problem A auftritt, dann findet ihr auf Seite 38 die Lösung dazu. Sie gibt einen sicherheitspolitischen Kompass.

Das zeigt sich in dem, was wir - gemeinsam; und auch dafür sind wir als Bundesregierung dankbar - ganz konkret umgesetzt haben: Zwei Prozent unseres Haushalts für Verteidigung, die Stärkung der NATO, die Brigade in Litauen, ein Vorschlag für einen neuen Wehrdienst und auch die Erhöhung der Abschreckung - ein wieder neues Thema für uns - zum Schutz von uns, aber auch unserer östlichen Partner, mit Mittelstreckenraketen hier in Deutschland.

Das Allerwichtigste ist, dass wir uns tagtäglich der Verwundbarkeit unserer Gesellschaft, unserer Industrie und vor allen Dingen unserer Demokratie stellen.

Und das möchte ich an dieser Stelle sehr, sehr deutlich sagen: Wir erleben, dass diese hybride Kriegsbedrohung eben kein Zufall ist. Sie ist Strategie, und sie wird mit jedem Tag gefährlicher, weil ein zentrales Ziel Putins nicht aufgegangen ist.

Er hatte sich vorgenommen, nicht nur die Ukraine einzunehmen, sondern uns als Demokratien, als freie Welt anzugreifen, insbesondere mit diesem Narrativ „Die NATO ist schuld an diesem Krieg.“

Er hatte vor, die NATO und damit uns Europäer gegen den Globalen Süden aufzubringen.

Einer unserer größten Erfolge - das ist ein bisschen untergegangen; deswegen betone ich das hier so deutlich - in den letzten zweieinhalb Jahren war, dass die Einheit unseres freien, liberalen Europas und aller Staaten auf dieser Welt, die an die regelbasierte internationale Ordnung glauben - egal woher wir kommen, egal wie viele Unterschiede wir bei anderen Themen haben -, nicht zerstört wurde, sondern dass diese Einheit für eine regelbasierte Welt gewachsen ist.

Das ist eine große Errungenschaft; das dürfen wir nicht vergessen.

Es waren zweieinhalb Jahre Friedensdiplomatie, die anstrengend waren. In den ersten Gesprächen mit Südafrika hieß es noch: Warum? Ihr habt doch den Krieg begonnen. - Wir mussten über ein halbes Jahr dagegen anarbeiten, diese falschen Narrative, diese Lügen auszuräumen - auch mit unterschiedlichen Bereichen von Diplomatie, auch mit einem reflektiven Blick auf unsere eigene Geschichte und darauf, was wir falsch gemacht haben.

Das Gleiche gilt für Brasilien, für Indien. Wir haben gesehen, wie wichtig das ist und dass das unser bester Schutz ist.

Wir haben gesehen, dass nicht nur direkt nach Kriegsbeginn über 140 Staaten deutlich gemacht haben: Egal wie wir jetzt zu Europa und zur NATO stehen, wir wissen, wir stehen für die regelbasierte internationale Ordnung, und stimmen gegen Russland.

Wir haben das gesehen auf einer Klimakonferenz, wo auch Putin, unterstützt von China, versucht hat, eben die Staaten, die gemeinsam etwas für die Welt tun wollten, zu spalten. Das hat letztes Jahr nicht geklappt, und mehr als 140 Staaten haben einen gemeinsamen Beschluss in Dubai gefasst.

Und wir haben das auch jetzt wieder in New York gesehen; das war das eindringlichste Zeichen dafür, wie stark Länder sind, wenn sie zusammenarbeiten, egal was sie sonst trennt.

Bei dem Pakt für die Zukunft, der in New York geschlossen wurde, ging es darum, ob die Welt weiter hinter den VN, hinter unserem Verständnis von Völkerrecht steht. 17 Staaten - angeführt von Putin - haben versucht, dieses Ergebnis zu verhindern.

Unter Leitung von Deutschland und Namibia und gemeinsam mit allen anderen - über 170 Staaten - konnten wir deutlich machen: Gerade in diesen Zeiten von Krieg und Krisen hält die Welt zusammen, wenn es um den fundamentalen Schutz unserer regelbasierten internationalen Ordnung geht.

Klar ist: Weil Putin das jetzt auch verstanden hat, setzt er so viel mehr darauf, unsere Demokratie und unsere Gesellschaft in Europa zu spalten. Deswegen nehmen diese hybriden Angriffe zu. Deswegen versucht er, unsere Gesellschaft beim Thema Migration zu spalten, und bringt arme Menschen aus anderen Ländern an die Grenze von Belarus zu Polen, weil er hofft, damit Europa zu spalten. Aber Putin bestimmt nicht, wer nach Europa reinkommt, und Putin bestimmt auch nicht darüber, wie wir Europäer uns einstellen, sondern gemeinsam können wir als Europa deutlich machen: Das ist unser freies, menschliches Europa.

Daher war es für uns so wichtig, dass wir endlich damit begonnen haben, uns mit dem Thema „hybride Angriffe“ zu befassen. Im Falle eines Cyberangriffes auf ein Krankenhaus beispielsweise geht es nicht mehr darum, das als Problem des Krankenhauses zu sehen, sondern das Ganze gemeinsam zu denken.

Deshalb bauen wir das BSI zu einer Bund-Länder-Zentrale aus und schaffen ein ganzheitliches Cyberlagebild. Ich nenne das hier einmal als einen Punkt, wo wir begonnen haben, uns resilienter gegenüber Angriffen zu machen.

Aber klar ist: Das reicht nicht aus. Neun Tage kreiste eine Drohne über Brunsbüttel. Da ist ein Chemiepark, in der Nähe befindet sich ein Zwischenlager. Wir haben uns zu Beginn dieser Strategie immer wieder damit auseinandergesetzt: Was bedeutet es, wenn innere und äußere Sicherheit miteinander verschmelzen? Das sind die Baustellen, an denen wir dringend weiterarbeiten müssen.

Deswegen nicht nur mein Dank, sondern auch eine weitere Einladung als Bundesregierung an alle demokratischen Parteien, an die Länder, an die Unternehmen, an die Kommunen: Wir können Sicherheit für alle nur gemeinsam schaffen, wenn wir alle zusammenarbeiten.

Als Unternehmen, die nicht erpressbar sind, wenn Autokraten ihre Systeme lahmlegen. Als Universitäten, die wissen, dass Forschungskooperationen auch zur Spionage eingesetzt werden können. Und als Politikerinnen und Politiker, die wissen: Im entscheidenden Moment, wenn Autokraten und Diktatoren uns erpressen wollen, müssen wir zusammenstehen, egal was uns sonst trennt.

So machen wir unser Land und Europa sicher für die Zukunft.

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