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Grußwort von Michail Gorbatschow

Ehemaliger Präsident der UdSSR, M.S.Gorbatschow

Ehemaliger Präsident der UdSSR, M.S.Gorbatschow, © Nikita Markov

06.11.2019 - Rede

„Liebe Freunde, ich begrüße Sie am Vorabend eines wichtigen Datums, des 30. Jahrestags des Falls der Berliner Mauer.

Diese Mauer trennte eine Stadt, ein Volk, ein Land, Europa. Die Deutschen auf beiden Seiten der Mauer verlangten ihre Entfernung: “Wir sind ein Volk.„

Der Tag des Mauerfalls ist wahrscheinlich der freudigste Tag der deutschen Geschichte.

An diesem Tag haben wir alle gespürt: es läuft auf die Vereinigung Deutschlands hinaus. Und es kam die Frage auf: wie wird sich dieser Prozess vollziehen? Wie wird er aufgenommen werden, von den Nachbarn, den anderen europäischen Ländern, den Verbündeten, den Menschen der Sowjetunion, den Russen?

Der Prozess der Vereinigung entwickelte sich rasant. Das hatte niemand erwartet, und es gab diesbezüglich Besorgnisse und Beunruhigung.

In solchen historischen Momenten wird die Verantwortlichkeit und die Weisheit der Staaten und ihrer Staatsoberhäupter auf die Probe gestellt.

Und wir können sagen: sie haben diese Prüfung bestanden.

Die Deutschen haben ihre Hoffnungen und Forderungen friedlich kundgetan. Sie haben bewiesen, dass sie die Lehren aus der Geschichte verinnerlicht haben.

Und unser Volk kam ihnen entgegen, mit Verständnis für ihre Bestrebungen.

Zwei Völker haben mit den tragischen Kapiteln der Vergangenheit abgeschlossen. Diese Völker, Deutsche und Russen, sind die wahren Helden der Vereinigung.

Verantwortlich gehandelt haben auch alle anderen Personen, die in diesen historischen und dramatischen Prozess involviert waren. Und er ist friedlich zum Abschluss gekommen.

Heute und jedes Mal, wenn wir diesen Tag feiern, müssen wir die gegenwärtige Sachlage in Europa an den damaligen Hoffnungen und Erwartungen der Menschen messen.

Die Menschen hofften, dass das Ende der Teilung Europas gekommen war. Sie hofften auf den Anbruch einer neuen Epoche des Friedens, der Zusammenarbeit, des Aufbaus. Sie hofften, dass ganz Europa unser gemeinsames Haus wird.

Wir sind noch weit von der Erfüllung dieser Hoffnungen entfernt.

In Europa wurde keine verlässliche gemeinsame Sicherheitsarchitektur geschaffen, kein System zur Konfliktverhütung und -bewältigung. Aber unser Kontinent braucht sie dringend! Das zeigt uns die bittere Erfahrung der letzten paar Jahre.

Das darf man nicht hinnehmen. Man darf nicht die Hände in den Schoß legen. Ich glaube, dass man die gegenwärtige Krise überwinden kann. Ich glaube, dass die gegenwärtige Führungsgeneration in der Lage ist, mit Weisheit und Verantwortungsbewusstsein den Dialog und das Vertrauen wieder herzustellen.

Jeder von uns kann seinen Beitrag zur Überwindung der Konfrontation leisten. Deshalb möchte ich, wenn ich Ihnen zu diesem bedeutsamen Datum gratuliere, uns allen wünschen, konsequent und über-zeugt für ein Europa ohne Mauern und Trennlinien zu kämpfen, für ein wahrhaft neues Europa, auf das alle seine Völker stolz sein werden.“

Gorbatschow-Stiftung

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