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Rede von Außenministerin Baerbock im Deutschen Bundestag: Aktuelle Stunde zur „Lage in der Ukraine angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands und die Auswirkungen auf Deutschland und Europa“
Außenministerin Annalena Baerbock bei Rede zum Tagesordnungspunkt 'Aktuelle Stunde - Lage in der Ukraine angesichts des voelkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands' bei der 20. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin, © picture alliance / Flashpic | Jens Krick
Man spürt förmlich in diesem Raum: Für uns alle sind die Bilder aus der Ukraine nicht zu ertragen. Und für uns sind es nur Bilder; für die Millionen Menschen vor Ort sind sie bittere Realität. Daher ist für uns alle - das ist das gute Zeichen - ganz klar, was das Allerwichtigste ist: Die russische - und ich sage klar: die russische - Bombardierung von unschuldigen Menschen muss aufhören!
Es ist gut und wichtig, dass es jetzt Gespräche zwischen der Ukraine und Russland gibt. Aber auch hier müssen wir vor uns selber ehrlich sein: Wir wissen nicht, ob das wirklich Gespräche sind. Ein Diktatfrieden hat wenig mit Frieden zu tun, und wir sollten uns nichts vormachen: Wenn die einen über Friedensgespräche reden und zeitgleich Krankenhäuser und Wohngebäude bombardieren, dann geht es wohl nicht wirklich um Gespräche.
Nichtsdestotrotz telefoniert der Kanzler, nichtsdestotrotz führen wir diese Gespräche, nichtsdestotrotz, obwohl wir schon mal belogen wurden, tun wir alles, was wir können, wissend, dass es vielleicht in diesem Moment nicht das bringt, was wir alle wollen: ein Ende dieser Bombardierung.
Man muss hier einmal klar und deutlich sagen: Es gibt nicht zwei Seiten, es gibt eine Seite, es gibt sogar nur einen Präsidenten, der diese Bombardierung zu verantworten hat, und das ist der russische Präsident.
Es ist furchtbar, es ist einfach nur furchtbar: Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieser Krieg immer zynischer, immer brutaler wird. Putins feigem Krieg steht nichtsdestotrotz ein unglaublicher Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer gegenüber. Putins - und es ist allein Putins Krieg - verlogenem Krieg gegenüber steht ein Wahrheitswille der vielen russischen und belarussischen Bürgerinnen und Bürger, die auf die Straße gehen, die ihren Militärdienst quittieren, wissend, dass sie damit ihre eigene Freiheit, ihre eigene Sicherheit aufs Spiel setzen, und ich verneige mich - und ich glaube, wir verneigen uns - vor ihrem Mut.
Putins einsamem Krieg - das ist das einzig kleine bisschen Gute - gegenüber steht eine geschlossene europäische und internationale Gemeinschaft. Aber, und das ist bitter; es ist, wie gesagt, kaum zu ertragen: Es ist auch so, dass es allein Putin in der Hand hat, diesen grausamen Krieg jetzt zu beenden. Das mag uns wütend, das mag uns fassungslos machen; aber es macht uns nicht hilflos. Deswegen haben wir gemeinsam alles, was wir tun können, machtpolitisch darauf konzentriert, dieses Machtsystem Putins zu treffen, wo wir es treffen können. Ja, mit Waffenlieferungen!
Da so eine Debatte ja auch den Sinn und Zweck hat, Fragen zu stellen und Vorwürfe gegen die Regierung zu richten - dafür ist diese Debatte da -, möchte ich versuchen, einiges von dem, was Sie angesprochen hatten, aufzugreifen. Wir liefern Stinger. Wir liefern Strela. Aber wir können sie doch nicht herbeizaubern. Wenn Sie jetzt sagen: „Liefern Sie mal mehr“: Die Verteidigungsministerin hat geguckt, was wir liefern können. Zur Ehrlichkeit gehört auch: Wir haben nicht genug.
Deswegen haben wir uns den Kopf zerbrochen: Wie können wir das anders machen? Wir haben über die European Peace Facility - wir führen im Übrigen ja auch noch eine andere Debatte -, finanziert vor allen Dingen über das Auswärtige Amt, Gelder zur Verfügung gestellt, mit denen die Ukraine direkt bei Rüstungskonzernen selber einkaufen kann. Wir tun alles dafür, dass diese Einkäufe jetzt ganz, ganz schnell, ohne bürokratische Hürden - sonst prüfen wir ja zwischen drei Ressorts hin und her - vonstattengehen können.
Glauben Sie mir: Wir tun alles. Und wenn wir zaubern könnten, wenn mir mehr Waffen liefern könnten, dann würden wir das tun.
Wir tun es auch bei den Sanktionen. Aber ich hatte das ja schon mal gesagt mit Blick auf SWIFT: Was bringt uns eine Sanktion, wo alle sagen: „Juhu, das ist die neue Sanktion“, wenn wir wissen: „Wir können sie in dem Moment nicht umsetzen“? Deswegen haben wir bei SWIFT geprüft: Wie können wir Banken decouplen? Wie können wir dafür sorgen, dass wir wirklich schnell ins System kommen? - Und es wirkt. Wir hatten heute im Sicherheitskabinett bzw. im Kabinett die Berichte: 50 Prozent Rubelverfall. Wir haben gehört, dass die Staatsanleihen nicht bedient werden, dass Kredite nicht gezahlt werden können, weil man vom Finanzierungssystem vollkommen abgeschottet ist.
Und wir haben - ich glaube, das wissen eigentlich alle - gestern ein viertes Sanktionspaket auf den Weg gebracht, wo wir vor allen Dingen geschaut haben: Wie schließen wir die Lücken, wo Sanktionen umgangen werden? Denn was bringen uns die schönsten Sanktionen, wenn wir fünf Länder haben, die sich nicht daran halten? Das ist doch jetzt die Aufgabe:
Nicht immer mehr, nicht immer lauter, sondern immer präziser und effektiver dieses System jetzt wirklich zu treffen.
Wir sind uns einig - das ist ja auch das Besondere in diesem Moment: das waren wir uns noch nie bei solchen verteidigungs- und rüstungspolitischen Fragen; jetzt sind wir uns einig, das ist gut -, dass wir mehr Geld in die Hand nehmen müssen, auch für die Sicherheit bzw. die Bundeswehr.
Aber auch hier führen wir die Debatte noch. Ehrlich gesagt: „Freude“ ist kein Wort, das man in diesem Zusammenhang sagen kann. Aber ich glaube, es wird eine gute Debatte, gemeinsam nicht nur zu überlegen, wie wir den Verteidigungsetat über ein Sondervermögen erhöhen, sondern auch, wie wir eine Sicherheitsstrategie formulieren, die wirklich trägt - nicht nur in diesem Moment, sondern auch in den nächsten Jahren, wo vernetzte Sicherheit eben auch bedeutet, Cyberfähigkeiten zu haben. Die Cyberkompetenz haben wahrscheinlich nicht die Streitkräfte, sondern andere Akteure in unserem Land. Diese Debatte haben wir nie geführt. Jetzt ist der Moment, sie zu führen und die Gelder richtig zur Verfügung zu stellen.
Ich glaube, wir haben wir super Leute in allen Fraktionen, die diese Debatten jetzt hervorragend führen können.
Dann gilt für mich aber auch - das zeigt sich ja gerade -, dass wir Deutsche manches richtig gemacht haben. Warum konnten wir andere Länder in diesem Moment überzeugen, an unserer Seite zu stehen? Nicht nur aus wirtschaftlichem Interesse, nicht nur aus dem Grund, zu sagen: „Weil es verteidigungspolitisch geboten ist“, sondern weil sie uns vertrauen, weil es gewirkt hat, dass wir jahrelang in Diplomatie, in gute Beziehungen, ins Zuhören investiert haben.
Vielleicht der kleine Seitenschlenker; denn auch mich bewegt das: Ich habe auch darüber nachgedacht: Sollen wir morgen reagieren oder nicht? - Wir haben Kuleba im NATO-Rat zugeschaltet und hatten eine Debatte danach: Ja oder nein? Natürlich zerbrechen wir uns den Kopf. Ich glaube, in so einem Moment ist Zuhören eine echte Stärke.
Zuhören, das Wort stehen lassen, auch die Vorwürfe, die es geben wird, stehen lassen: Ich glaube, das ist in so einem Moment wahre Größe - und uns unserer Stärke bewusst zu sein, und die ist auch Diplomatie.
Deswegen möchte ich - wir haben jetzt viel über Verteidigung und Sicherheit gesprochen - deutlich machen - dazu brauchen wir auch Sie alle, dazu brauchen wir vor allen Dingen den Haushaltsausschuss -: Da, wo wir bedingungslos helfen können, da müssen wir jetzt bedingungslos helfen! Wir können das in manchen Bereichen nicht, weil wir wirtschaftliche Abhängigkeiten haben. Aber wir können es im humanitären Bereich.
Deswegen möchte ich drei Punkte hier schon einmal mit Blick auf die nächsten Wochen erwähnen:
Erstens: humanitäre Hilfe. Meine Kollegin Svenja Schulze hat es angesprochen: Die Versorgungslage ist dramatisch - in Kiew, Mariupol, Charkiw; wahrscheinlich wird Kiew jetzt noch mal härter getroffen. Wir brauchen mehr Geld. Danke, dass wir heute zusätzlich 350 Millionen Euro auf den Weg gebracht haben. Wir werden leider weitere Gelder im Bereich „humanitäre Unterstützung“ brauchen.
Den zweiten Punkt habe ich heute im Verteidigungs- und Europaausschuss schon genannt: Unterstützung der Nachbarländer. Wir sehen, was die alle leisten, vor allen Dingen Moldau. Die große Sicherheitsgefahr ist, dass das kleine Moldau - ohne Panzer, ohne irgendwelche militärische Aktion - plötzlich auch mit einverleibt wird, weil sie ihre Stromversorgung nicht mehr aufrechterhalten können. Wir können da helfen. Das heißt auch hier, Stabilisierungshilfe auf den Weg zu bringen und bereit zu sein, wenn Moldau uns braucht.
Mein dritter Punkt ist die Verteilung der Geflüchteten. Im Inland müssen wir gemeinsam schauen, wo wir besser werden: in Kommunen, Ländern und, ja, auch auf Bundesebene. Aber wir haben auch eine Verantwortung an der Außengrenze, wenn man sieht, was da passiert ist. Es sind in den letzten Tagen diejenigen gekommen, die ein Auto haben, die Verwandte in Europa haben. Jetzt kommen diejenigen, die niemanden mehr haben.
Ich habe eine 80-jährige Frau in Moldau getroffen. Ich habe mich gar nicht getraut, die Frage zu stellen; aber ich habe sie trotzdem gefragt: „Wo wollen Sie hin?“, und sie hat gesagt: In den Himmel. Ich habe niemanden mehr. Wo soll ich in Europa noch hin? - Wir können nicht sagen, sie soll sich freiwillig auf ein Land verteilen. Diese Frau wird im Zweifel einfach auf ihrem Stuhl sitzen bleiben.
Es ist jetzt unsere Aufgabe, gemeinsam für eine solidarische Brücke in Europa und über den Transatlantik zu sorgen.
Das ist auch mein Appell an unsere Freunde in Kanada, in den USA und weltweit: Wir müssen jetzt die Menschen von der Außengrenze verteilen.
Da können wir bedingungslos helfen.
Herzlichen Dank.