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Ansprache des Botschafters Géza Andreas von Geyr anlässlich des Empfangs zum Tag der Deutschen Einheit

Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr

Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr, © Deutsche Botschaft Moskau / Nikita Markov

03.10.2022 - Rede

Moskau, 03. Oktober 2022


*** Es gilt das gesprochene Wort ***


Liebe Gäste,

haben Sie Dank, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.

Ich begrüße sehr herzlich die Mitglieder des diplomatischen Corps, die Vertreter deutscher Firmen, unserer Außenhandelskammer, deutscher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, Lehrer der Deutschen Schule.

Ich begrüße russische Freunde aus der Zivilgesellschaft,
und ich freue mich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Botschaft anwesend sind, Entsandte ebenso wie russische Lokalbeschäftigte.

Der heutige Empfang ist anders, als gewohnt.

Der 24. Februar, der Angriffskrieg Russlands auf den souveränen Staat Ukraine und dessen Folgen haben alles verändert.

Die russische Staatsführung kategorisiert Deutschland und alle unsere engen Partner als „unfreundliche Länder“. Unsere politischen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt und es ist kein Licht am Ende des Tunnels in Sicht, ja, es ist nicht einmal ein Tunnel zu erkennen.

Meine Botschaft ist seit dem vergangenen Jahr eine andere geworden. Wir sind kleiner, fast unsere gesamte Kooperation ist auf Eis gelegt oder beendet. Viele unserer Diplomaten wurden ausgewiesen, deutsche Stiftungen, Einrichtungen der Wissenschaft, auch Journalisten, mussten ihre Tätigkeit beenden, Teile der deutschen Wirtschaft haben Russland verlassen.

Viele unserer russischen Freunde und Partner, die heute gerne hier wären, haben das Land verlassen oder sind als Ausländische Agenten stigmatisiert - auch wegen ihrer Beziehungen zu uns.

Es sind außerordentliche, schwierige Zeiten. So wie wir uns heute treffen, läuft in der Ukraine der Krieg, Menschen verlieren ihr Leben. Auch deshalb ist dieser Empfang kleiner als üblich und er wird ruhiger sein.

Für uns hier in Moskau ist es gerade in derart schwierigen Zeiten umso wichtiger, dass wir Gelegenheiten haben uns zu treffen, dass wir uns austauschen: als Deutsche hier in Russland, als Diplomaten aus aller Welt – denn wir alle müssen angesichts derartiger Herausforderungen Position beziehen und wissen, wo wir stehen.

Und es ist für uns Deutsche wichtig, dass wir gerade hier in Moskau diesen Tag gemeinsam begehen, auch mit unseren Gästen – den Tag der Deutschen Einheit, der symbolisch für unsere Identität steht, für unsere Werte.

Dazu einige Gedanken:

Für uns Deutsche ist unser Nationalfeiertag ein Tag der Freude.

Nach den Untiefen des Weltkriegs und Jahrzehnten einer gewaltsam aufrechterhaltenen Teilung, konnten wir unsere Einheit wiedergewinnen.

Für viele von uns war es ein Wunder. Das geteilte Deutschland war 1989 weiterhin die Frontlinie gigantischer Bedrohungspotenziale jeder erdenklichen Qualität. Dennoch gelang es mutigen Menschen in der damaligen DDR mit friedlichen Protesten und ohne Gewalt ein Unrechtsregime zu stürzen. Die Fassade fiel in sich zusammen, das Regime musste offenbaren, dass es innen hohl war.

Die Menschen erreichten das Wichtigste: Frieden und Freiheit. Dies ist unsere Freude des 3. Oktober: Frieden und Freiheit.

Unser Nationalfeiertag ist für uns Deutsche ein Tag der Dankbarkeit.

Wir wissen, dass unsere Wiedervereinigung nicht möglich gewesen wäre ohne das Zutun unserer Partner und Verbündeten.

Allen: Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, unseren europäischen Nachbarn sind wir dankbar.

Und wir wissen auch, dass die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas nicht gelungen wäre, wenn Moskau militärisch eingeschritten wäre, um seine Dominanz über andere Länder durchzusetzen - wie zuvor in Ost-Berlin, Budapest, Prag.

Vor wenigen Wochen wurde Michail Gorbatschow zu Grabe getragen. Seine damalige Haltung war außerordentlich mutig, sie war weitsichtig und dem Frieden zugewandt, einem Frieden auf unserem gemeinsamen, kriegsgeschundenen Kontinent. Einem Frieden, der nur ohne Gewalt echt und haltbar sein kann – ohne Gewalt nach innen und nach außen.

Unser Nationalfeiertag ist für uns Deutsche auch ein Tag der Verantwortung. Verantwortung in vielerlei Hinsicht.

Verantwortung vor unserer eigenen Geschichte: Wir sind stolz auf die großen Momente, die Deutsche geschaffen haben und ebenso bekennen wir uns zu dem furchtbaren Leid, das wir anderen und auch uns selbst zugefügt haben. Für uns gehört beides zusammen, nur der aufrichtige Blick zurück schafft Versöhnung.

Deshalb achten wir darauf, dass Geschichte nicht verbogen und hasserfüllt missbraucht wird, von niemandem.

Verantwortung für das Recht: Die deutsche Wiedervereinigung war keine gewaltsame Eroberung von Land und sie war kein Bruch des Völkerrechts. Im Gegenteil: Grundlage war die Bindung an das Völkerrecht, das Einhalten von Vereinbarungen und Verträgen.

Es war die Stärke des Rechts, die den Kalten Krieg beendet hat. Darauf setzt Deutschland auch heute und in Zukunft. Das Völkerrecht ist der wesentliche Schutz für Frieden und Freiheit. Wir wollen und müssen die regelbasierte internationale Ordnung erhalten. Nur sie schützt vor einem System des Rechts des Stärkeren, das zu Chaos führt, zu Überfällen auf Nachbarn, Krieg und Gewalt.

Verantwortung für die Menschenrechte: Deutsche Politik kann und darf nicht schweigen, wenn Menschen- und Freiheitsrechte mit Füßen getreten werden, bei uns und woanders. Unsere Verfassung gibt keinem Land und keinem Mächtigen einen Rabatt.

So hat sich die Bundesregierung auch eindeutig positioniert, was aktuell die drastischen Einschränkungen der Freiheiten und den Umgang mit Andersdenkenden in Russland betrifft.

Verantwortung für den Frieden: Das wiedervereinigte Deutschland folgt einer klaren Richtung. Wir schweigen nicht, wenn der Frieden verletzt, ein souveräner, von der Welt anerkannter Staat überfallen und Teile erobert werden. Die Bundesregierung hat sich klar positioniert zum Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine. Und auch zum Einsatz von Machtmitteln wie Energie und Ernährung, die viele Regionen der Welt hart treffen.

Und meine Regierung positioniert sich ebenso eindeutig zu den Schein-Referenden und zur Annexion von Gebieten der Ukraine, die von uns keinesfalls anerkannt werden.

Es gibt keine Gründe, die diese Schritte rechtfertigen - auch nicht Versuche, alles Übel auf der Welt einem „globalen Westen“, und damit auch meinem Land, in die Schuhe zu schieben, der angeblich Russland angreife und vernichten wolle.

Weil die gebrochenen Regeln für ein friedliches Miteinander der Staaten so überragend sind, ziehen wir Konsequenzen, auch wenn Sanktionen für uns selbst schwierig sind. Und wir wissen auch umzugehen mit extremsten Drohungen.

Verantwortung für das Miteinander der Menschen: Unser Nationalfeiertag lehrt uns die Kraft der Zivilgesellschaft und den Wert des Miteinanders der Menschen, auch über Grenzen hinweg.

Hier in Russland war die Fülle unserer Programme und Veranstaltungen, die es noch bis Anfang des Jahres gab, immer getragen von Sympathie für das Land und die Menschen. Deutschland war, trotz aller bereits bestehenden Probleme, engagiert für ein gutes Miteinander von Russen und Deutschen, für Respekt und Toleranz – und dafür stehen wir auch weiterhin. Und diesen Wunsch zum Miteinander dürfen sich Russen und Deutsche nicht kaputt machen lassen, Geschichte und Geographie werden uns immer verbinden.

Eine der bekanntesten Aufschriften auf der Berliner Mauer hieß: „The world is too small for walls“.

Deshalb dient unser Engagement gerade auch in den gegenwärtig so schwierigen und tragischen Zeiten dem Auftrag unseres Nationalfeiertags: Frieden und Freiheit.

Eine grandiose Ausstellung, die wir hier in Moskau im vergangenen Jahr veranstaltet haben, hieß: „Träume von Freiheit“.

Die Erinnerung daran, dass Frieden und Freiheit letztendlich stärker sind als Mauern, lässt uns darauf hoffen, dass auch die gegenwärtigen enormen Krisen irgendwann wieder einen friedlichen Weg nehmen.


Die Rede auf Englisch können Sie hier nachlesen.

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