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Ansprache von Außenminister Heiko Maas beim Festakt zum Gedenken an die Ereignisse vom 30.09.1989 in der Botschaft Prag

01.10.2019 - Pressemitteilung

...Für mich liegt darin das Vermächtnis dieses Prager Herbstes 1989:
Es lohnt sich, etwas zu riskieren für Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Denn: Nichts davon ist selbstverständlich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

lassen Sie mich ganz unprotokollarisch beginnen und zunächst die Damen und Herren begrüßen, die ich eben bereits kennenlernen durfte. Das sind diejenigen, die vor 30 Jahren hier gewesen sind, die Flüchtlinge und Zeitzeugen gewesen sind. Es ist mir eine ganz besondere Ehre, Sie heute kennengelernt zu haben.

Sehr geehrter Herr Premierminister Babiš,
Herr Wirtschaftsminister,
Herr Außenminister, lieber Tomáš,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmer,
sehr geehrter Herr Bundesminister Seiters,
lieber Herr Botschafter,
Exzellenzen, Minister, Abgeordnete,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

in einem der vielen Berichte, die die Botschaft Prag im Herbst 1989 damals nach Bonn geschickt hat, wird über ein Treffen mit den Kollegen der DDR-Botschaft berichtet.

Die DDR-Vertreter baten ihre westdeutschen Kollegen darum, „dass die in Prag befindlichen DDR-PKW, die dort stehengelassen wurden, schnell und ordnungsgemäß abgeholt würden“. Andernfalls, so die Befürchtung, gäbe es „Probleme mit dem Gastland“, der Tschechoslowakei.

Die schiere Masse an zurückgelassenen Trabis, sie war zu einem Verkehrsproblem geworden im Herbst 1989, hier in Prag.

Meine Damen und Herren,

was heute skurril klingt, sagt nicht nur etwas über die große Zahl derer, die damals über Prag aus der DDR geflohen sind.

Sondern es sagt auch etwas über die Kraft von Freiheit.

Es sagt etwas über den Mut, der Sie als Flüchtlinge im September 1989 hierher gebracht hat. Sie haben damals alles zurückgelassen. Freunde, Familie – so viel mehr als nur ein Fahrzeug.

Und Sie mussten so schnell entscheiden, ob Sie sich in diesen Strom der Geschichte begeben. Eine Weichenstellung, wie es sie im Leben nur einmal geben konnte.

Als Sie sich zu Hause verabschiedeten, dachten Sie, es sei für immer. Und Sie wussten nicht, ob Sie ankommen würden. Sie wussten nur: Es gibt kein Zurück.

Sie taten das, um in Freiheit zu leben.

Meine Damen und Herren,

für mich liegt darin das Vermächtnis dieses Prager Herbstes 1989:

Es lohnt sich, etwas zu riskieren für Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Denn: Nichts davon ist selbstverständlich.

Diese Erkenntnis ist heute, in Zeiten populistischer Verführer und nationalistischer Ideologen, noch genauso wertvoll wie damals.

Ich habe wie viele, wie die meisten in Deutschland, diesen Abend vor dem Fernseher verbracht. Ich habe die Bilder gesehen und die wahrscheinlich kürzeste Rede von Hans-Dietrich Genscher gehört. Ich glaube, wenn es bei der Wiedervereinigung neben dem Fall der Mauer am 9. November einen magischen Moment gegeben hat, dann hat er heute vor 30 Jahren hier stattgefunden. Als Hans-Dietrich Genscher den ersten Halbsatz seiner Rede gesagt hatte und dann die Jubelschreie im Garten dieser Botschaft zu hören waren, dachte ich mir: Wenn es den Schrei nach Freiheit gibt, dann hat man ihn vor 30 Jahren hier gehört.

Meine Damen und Herren,

es ist kein Zufall, dass diese friedliche Revolution auch hier, in Prag, ihre Wurzeln hatte.

Denn diese Stadt, dieses Land, hatten der ganzen Welt ja schon viel früher, im Frühling 1968, ihren Freiheitswillen gezeigt.

Ein Freiheitswille, der in der „Samtenen Revolution“ mündete, die die kommunistische Herrschaft im ganzen Land hinwegspülte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir Deutschen werden das nicht vergessen! Die Mauer, die unser Land geteilt hat, die Mauer, die dann wenige Wochen später in unserem Land gefallen ist, sie ist auch hier, in Prag, gefallen.

Und nicht nur hier, sondern auch auf den Werften von Danzig und am Grenzzaun bei Sopron.

Und so ist die deutsche Einheit auch ein Geschenk Europas an Deutschland. Am Ende eines Jahrhunderts, in dem Deutsche unendliches Leid und Schrecken über Europa gebracht haben.

Als Außenminister eines geeinten Deutschlands, in einem geeinten Europa, möchte ich Ihnen, Herr Premierminister, stellvertretend für alle Tschechinnen und Tschechen, heute dafür von Herzen danken.

Meine Damen und Herren,

Wenn wir, Deutsche und Tschechen, aus dieser Erfahrung heraus heute den Blick nach vorne richten, dann geht es darum, einen Beitrag dazu leisten, Europa zusammenhalten.

Gerade wir dürfen aufgrund unserer gemeinsamen Erfahrungen nicht zulassen, dass sich neue Gräben auftun in Europa – egal ob zwischen West und Ost oder Nord und Süd.

Am Ende werden wir mit unseren Werten und unseren Interessen in dieser Welt nur bestehen können, wenn wir als Europäer zusammenhalten.

Der Herbst 1989 hat gezeigt, was Europa vermag, wenn wir über nationale Interessen hinaus denken und handeln.

Welch‘ positive Kraft wir Europäer entfalten, wenn wir gemeinsam für unsere Ideale eintreten.

Und deshalb sollte uns die Erfahrung von Prag, das, was vor 30 Jahren hier geschehen ist, dabei helfen, diese Kraft, über die wir verfügen, auch zu nutzen, um Europa zu stärken!

Deutsche und Tschechen, Seite an Seite.

Im Herzen Europas und mit Europa im Herzen!

Vielen Dank und hezký večer!

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