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Interview des Generalkonsuls Dr. Peter Blomeyer für das Internetportal „Tayga.info“

Interview Tayga.info

Interview „Tayga.info“, © Michail Perikov

02.10.2020 - Artikel

Abschiedsinterview des Generalkonsuls Dr. Peter Blomeyer

 1. Sie sind in Bremen geboren. Studiert haben Sie in Hamburg und Freiburg. Ich habe zwei Fragen diesbezüglich: Haben Sie mit dem SV Werder Bremen mitgefiebert und was wollten Sie als Kind werden? Ich erlaube mir mal zu mutmaßen, dass Sie damals von einer Karriere als Diplomat nicht geträumt haben. 

Klar habe ich beim SV Werder Bremen mitgefiebert, und ich war als Junge öfter Zuschauer im Weser-Stadion. Bremen war immer mal wieder deutscher Meister in der westdeutschen Bundesliga, und auch seit der Wiedervereinigung war Werder zweimal Meister und dreimal Vizemeister.

Ich scherze gern, dass es mir schon an der Wiege gesungen war, Diplomat zu werden. Denn der Arzt, der meiner Mutter bei der Entbindung zur Seite stand, trug dabei einen Smoking. Er war gerade auf dem Weg zur Eiswette, dem höchsten Fest in Bremen, zu dem man nur einmal im Leben eingeladen wird. Meine Mutter versprach, dass es schnell gehe, und da warf er sich einen Kittel über den Smoking. Meine Mutter hat ihr Versprechen übrigens gehalten.

Mein erster Berufswunsch war Auslandskorrespondent. Wir hatten damals einen berühmten Journalisten in Deutschland, Peter Scholl-Latour, der im Fernsehen äußerst spannend von den großen Krisenschauplätzen der Welt berichtete. So etwas wollte ich auch machen. Und tatsächlich bin ich es auch geworden, denn als Diplomat ist man Auslandskorrespondent jedenfalls für seine Regierung.

2. Sie waren als Botschafter in Uganda, im Kongo und Kosovo eingesetzt. Unterscheidet sich Ihre Tätigkeit in Nowosibirsk von der in den oben aufgeführten Ländern? Wie sieht unsere Stadt auf dem Weltparkett aus? Ist in Deutschland viel über Nowosibirsk bekannt?

Meine Tätigkeit hat sich von meinen Aktivitäten in den anderen Ländern nicht wesentlich unterschieden. Ich sehe meine wichtigste Aufgabe darin, dem Gastland mein Heimatland zu erklären und meinem Heimatland mein Gastland zu erklären. Dafür muss ich mein Gastland gut kennenlernen, und dabei darf man sich nicht auf die Hauptstadt beschränken. Eine Besonderheit als Generalkonsul für Sibirien und Fernost gegenüber den anderen Ländern liegt in der Größe und Diversität meines Amtsbezirks. Ich habe es als Privileg empfunden, das kennenlernen zu dürfen.

Philharmonie und Oper, Theater und Ballett in Nowosibirsk können sich mit allen Städten dieser Welt messen, ebenso die Wissenschaft in Akademgorodok. Es ist phänomenal, was man da in dieser vergleichsweise jungen Stadt aufgebaut hat. Vielleicht wäre ihr etwas mehr Diversität zu wünschen. Unser Generalkonsulat hat versucht, auch andere Musikrichtungen hier vorzustellen, und unser Goethe-Institut geht ähnliche Schritte in der Kunst.

In Deutschland ist Nowosibirsk als Stadt nicht sehr bekannt, und von Sibirien gibt es unterschiedliche, oft vage Vorstellungen. Manche assoziieren es nur mit Kälte und wissen gar nicht, wie heiß es hier im Sommer werden kann; andere denken an Verbannung. Nicht wenige meiner Freunde haben mich aber beglückwünscht, dass ich die großartige Natur Sibiriens kennenlernen kann, das Altai-Gebirge, den Baikalsee, die großen Flusssysteme, die Vulkane Kamtschatkas. Und manchen ist auch die Vielfalt der Völker und Kulturen bekannt, die Sibirien und Fernost ausmachen.

3. Ich war mehrere Male in Berlin und ich habe für mich drei Plätze gefunden, mit denen ich die Stadt assoziiere: das Pergamonmuseum, die Hackeschen Höfe und der Fernsehturm am Alexanderplatz. Worauf kommen Sie als Erstes bei der Erwähnung von Nowosibirsk?

Die Oper, den Bahnhof und die Promenade am Ob. Und die schönen Eisskulpturen und die rasanten Eisrutschen im Winter.

4. 2020 ist das Deutschlandjahr in Russland. Dann brach die Pandemie über uns herein. Soweit ich weiß, wurden die Pläne hinsichtlich der Festveranstaltungen wesentlich gekürzt. Kommen noch weitere Kürzungen von Veranstaltungen vor dem Hintergrund einer zweiten Coronavirus-Welle?

Es trifft zu, das Deutschlandjahr beginnt in schwierigen Zeiten, übrigens nicht nur wegen der Pandemie, sondern auch die politische Großwetterlage ist derzeit sehr belastend. Gerade deshalb beginnt es aber womöglich zur rechten Zeit. Für all das will das Deutschlandjahr Gelegenheiten schaffen. So planen wir weiterhin zahlreiche Projekte und Veranstaltungen aus den Bereichen Bildung und Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Einige wurden wegen der Pandemie ins nächste Jahr verschoben, um sie möglichst als Präsenzveranstaltungen durchzuführen; bei anderen weichen wir auf virtuelle Formate aus.

Das gilt natürlich auch für Sibirien. Einige Beispiele für unsere Projekte: Wir möchten als verbindendes Element zwischen Deutschland und Sibirien in verschiedenen Städten eine Ausstellung über den Beitrag deutscher Forscher zur Erforschung und zum Erhalt indigener Kulturen zeigen. Und wir möchten zur Feier des 250. Geburtstags von Ludwig van Beethoven seine neunte Symphonie mit Sängern und Sängerinnen aus Deutschland aufführen. Auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit bildet einen Schwerpunkt. Mit einer Klausur deutscher und sibirischer Wissenschaftler über die Bedrohungen der sibirischen Klimagassenken – Taiga, Tundra, Moore, Permafrost, Gletscher – möchten wir die globale Bedeutung Sibiriens für das Weltklima in den Blick rücken.

4. Die meisten Menschen in Nowosibirsk tragen keinen Mund-Nasenschutz trotz der Coronaviruspandemie. In Deutschland sieht es anders aus. Welche Strafmaßnahmen sind für Maskenverweigerer vorgesehen?  Wenn derartige Maßnahmen in Deutschland vorhanden sind, sollte man sie aus Ihrer Sicht auf andere Länder ausweiten? 

Bisher ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gut durch die Pandemie gekommen. Das liegt auch daran, dass rechtzeitig Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie ergriffen wurden. Dazu zählen der Mindestabstand von anderthalb Metern, Hygienevorschriften und natürlich der Mund-Nasenschutz. Über die Einhaltung dieser Vorschriften wachen bei uns die Bundesländer. Sie haben sich auf ein Mindestbußgeld von fünfzig Euro, also etwa 4.400 Rubel, bei Verstößen gegen diese Vorschriften geeinigt. Denn auch bei uns gibt es Leute, die allerlei Verschwörungstheorien aufsitzen, das Virus für eine Erfindung halten und keine Maske tragen wollen. Angesichts von über 30 Millionen Erkrankten und über einer Million Toten in der Welt ist das nicht akzeptabel; darin ist sich die übergroße Mehrheit der Deutschen einig.

Ich denke, dass jedes Land für sich über geeignete Maßnahmen zur Einschränkung des Virus entsprechend seiner Lage entscheiden muss. In Deutschland treffen wir diese Entscheidungen auf Ebene der Bundesländer und passen sie sogar auf Landkreisebene an, um Einschränkungen nur dort vorzunehmen, wo sie nötig sind; dort sollte man sie aber auch vornehmen. Gleichzeitig ist wohl jedes Land gut beraten, wenn es sich umschaut in der Welt und an Erfolgsmodellen orientiert. Am wichtigsten scheint mir die Selbstdisziplin der Menschen zu sein, sich an die Regeln zu halten. Wer das Virus für sich nicht ernst nimmt, sollte doch wenigstens an seine Angehörigen und Mitmenschen denken.

5. Wir können in unserem Gespräch auch politische Themen nicht vermeiden. Wie wird sich die Abkühlung der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland nach dem Vorfall mit Nawalny auf den Kulturaustausch und die Arbeit des Konsulats in Nowosibirsk auswirken?

Es ist richtig, wir leben leider in angespannten Zeiten, zuletzt wegen des unaufgeklärten Einsatzes von Nervenkampfstoffen auf russischem Boden. Konfliktstoff hat sich in den letzten Jahren aber schon vorher gehäuft. In Deutschland ist man sehr bedrückt über die gewaltsame Verschiebung von Grenzen in Europa, über die Unterstützung von Diktatoren in Europa und im Nahen Osten, über unaufgeklärte Morde an in Russland unliebsamen Personen auf europäischem Boden, über Cyberangriffe auf unsere politischen Institutionen. Das belastet unsere politischen Beziehungen und kann auch auf unsere Wirtschaftsbeziehungen zurückwirken, wie sich an der aktuellen Diskussion über North Stream 2 zeigt.

Wie sollen wir damit umgehen? Ich glaube, wir brauchen gerade jetzt Dialog, Austausch, Diskussion, Begegnung zwischen Menschen in Russland und Deutschland. Deshalb veranstalten wir auch unser Deutschlandjahr in Russland. Ungeachtet der schwerwiegenden politischen Differenzen gibt es zum Glück tiefe und gefestigte Beziehungen zwischen Deutschen und Russen in allen gesellschaftlichen Bereichen, in der Wissenschaft und der Kultur und der Zivilgesellschaft und auf der zwischenmenschlichen Ebene. Diese Beziehungen sollen von den politischen Differenzen nicht angetastet, sondern erhalten und ausgebaut werden und hoffentlich positiv auf die Politik zurückwirken. So verstehen wir im deutschen Generalkonsulat jedenfalls unsere Funktion.

6. Hatten Sie früher in Ihrer Praxis etwaige Verschärfungen zwischen Deutschland und dem Gastland miterlebt?

Ich habe in meinem Berufsleben in meinen Gastländern die Auswirkungen von Krieg, Bürgerkrieg und Terrorismus sowie negative Ergebnisse von Wahlbeobachtungen erlebt, und es gab darüber lebhafte Diskussionen mit meinen Gastländern. Sie betrafen aber nicht die bilateralen Beziehungen.

7. Planen Sie das Visumverfahren nach der Pandemie zu vereinfachen? Es bringt mehr Geld und Touristen nach Deutschland, deren Zustrom wesentlich abgenommen hat.

Deutschland ist im Verband der Schengenstaaten, die zusammen die Regelungen für kurzfristige Einreisen bestimmen, die auch für Touristen gelten. Dabei spielt eine Vielzahl von Erwägungen eine Rolle, zu denen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische, sicherheitspolitische und zukünftig sicher verstärkt auch gesundheitspolitische Gründe zählen. Die Einreisebestimmungen werden in Arbeitsgruppen der Schengenstaaten ständig überprüft, und das wird nach dem Ende der Pandemie auch der Fall sein.

8. Die Konsularabteilung in Nowosibirsk hält sich bei der Visavergabe nach meiner Einschätzung in bis zu 90 % der Fälle an die Flugdaten. Womit hängt diese Politik zusammen? Frankreich oder Italien erteilen Visa bei der ersten Antragstellung für ein halbes oder ein ganzes Jahr.

Diese Einschätzung ist nicht zutreffend. Visa mit flexiblen Reisedaten wurden und werden erteilt. Die Dauer des Visums hängt vom Antrag und der Glaubhaftmachung der Visumbedingungen ab. Dazu zählen insbesondere der Reisezweck, die Finanzierung der Reise und der Rückkehrwille.

9. Gibt es Orte in Nowosibirsk, die Sie an Ihr Zuhause erinnern? Es könnte etwas Architektonisches, ein Restaurant oder eine Kneipe sein. (Ich wage zu hoffen, niemanden mit dieser Frage verletzt zu haben.)  

Nowosibirsk war mein Zuhause in den letzten beiden Jahren! Ich brauchte nur in meine Wohnung zu gehen. Aber Sie meinen natürlich den Vergleich zu Deutschland. Ich fühlte mich zu Hause überall, wo Musik gemacht wurde – etwa in der Philharmonie und der Oper, aber auch in verschiedenen Musikkneipen -, und in den Parks und im Zoo der Stadt. Und am Wochenende haben wir oft bei Chashka Coffee gefrühstückt.

 

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