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„Aus vielen guten Gründen wollen wir uns um Dialog bemühen“

Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr

Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr, © Nikita Markov

Namensbeitrag

Gastbeitrag von Botschafter von Geyr zum Deutschlandjahr in Russland 2020/2021, erschienen in Diplomatic World Magazin.

Seit Ende September präsentieren wir Deutschland in Russland auf ganz besondere Weise. Allein bis Jahresende 2020 fanden bereits über 500 Veranstaltungen statt. Und bis Ende des Jahres sind noch rund 1.000 weitere geplant. Dies ist ein großes, sehr umfassendes Unterfangen, das unter den ungewöhnlichen Umständen der Pandemie begonnen hat – mit einem Mix an virtuellen, hybriden und physischen Formaten. Und ein Vorhaben, das zusätzlich an Bedeutung gewinnt, da es in einer politischen Atmosphäre stattfindet, die voller Herausforderungen ist: Damit meine ich zum einen so manch aktuelle Differenzen zwischen unseren Ländern, zugleich aber auch die großen Zukunftsfragen, wie den Umgang mit Klimawandel, Pandemien oder weltweiten Krisenlagen, die nur mit vereinten Kräften über die Grenzen und Kontinente hinweg werden gelöst werden können.

Feierliche Eröffnung des Deutschlandjahres in Russland
Feierliche Eröffnung des Deutschlandjahres in Russland© Иван Гущин

Wie also mit dem Deutschlandjahr die richtigen Akzente setzen? Welches Bild Deutschlands wollen wir vermitteln? Und wichtiger noch: Was wollen wir für das Miteinander unserer Länder und der Menschen erreichen?

Aus vielen guten Gründen, die die schwierige Geschichte zwischen unseren Ländern genauso betreffen - zumal wenn wir in diesem Jahr des 80. Jahrestags des Überfalls Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion gedenken - , wie unsere Zukunft als Nachbarn in Europa, wollen wir uns um Dialog bemühen, um Begegnungen, um Kenntnis und Austausch, und letztlich um ein Verständnis der Menschen füreinander, aus dem ein gutes, zugewandtes, respektvolles Miteinander werden soll, das unerlässlich ist in unserer globalisiert vernetzten Welt.

Gelingen kann dies nur, wenn wir uns bemühen, Deutschland so darzustellen, wie es ist, mit all seinen Facetten, seiner Vielfalt. Wir wollen viel gelebte Wirklichkeit aus Deutschland nach Russland bringen.

Wir zeigen die Qualität der deutschen Wirtschaft, die Errungenschaften unseres Bildungswesens, die Exzellenz deutscher Forschung, wunderbare Kultur. Und zugleich und ebenso wichtig wollen wir auch das Fundament all Dessen zeigen: den gesellschaftlichen Diskurs, aus dem Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur ihre Kraft schöpfen, das Werben um Positionen, das oft schwierige Ringen um bestmögliche Lösungen. Kurzum: es ist mehr denn je die Vielfalt, die das Deutschland von heute ausmacht und dabei im Wesenskern die Vielfalt von Meinungen und Ideen, deren tolerante Debatte und die Offenheit zum Austausch über Grenzen hinweg.

So wollen wir uns im Deutschlandjahr erfahrbar machen, suchen den Dialog, mit großen, namhaften Projekten ebenso wie mit kleineren Veranstaltungen. Wir wollen Menschen in ganz Russland erreichen, von der Ostsee bis an den Pazifik.

Einige Beispiele mögen dies veranschaulichen:

Im Oktober vergangenen Jahres haben wir den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit gefeiert und lange überlegt, wie wir, neben Dokumentationen und Diskussionsveranstaltungen, den Menschen in Russland die Gefühle vermitteln können, die wir Deutsche beim Mauerfall hatten. Wir haben uns entschieden, eine junge russische Künstlerin zu beauftragen, ein Kunstwerk zu schaffen, das sichtbar und auch erlebbar ist.

Tatjana Ludanik, bekannt durch spektakuläre Installationen und Performances, hat aus der Idee ein großes, einzigartiges Werk geschaffen. Ihr Fragment der Berliner Mauer, das wir für einen Monat im Moskauer Gorki Park aufstellen konnten, verbindet die Rückschau mit dem Blick nach vorn. Es macht die Mauer erfahrbar, als machtpolitisch gewollt kalt Trennendes, das mein Land und Europa unter ungeheuren Schmerzen für so viele Menschen geteilt hat. Es bietet zugleich Raum für die Darstellung ganz unterschiedlicher Impressionen der facettenreichen deutsch-sowjetischen und deutsch-russischen Beziehungen, wissend, dass vor 30 Jahren ohne den Kreml friedlicher Mauerfall und Wiedervereinigung nicht gelungen wären. Und der Riss steht dafür, dass mutige Menschen diese Mauer überwunden haben und unser Land einen Moment unbeschreiblichen Glücks empfand: der Blick, der Gang durch die Mauer war möglich und damit eine neue gemeinsame Zukunft.

Einweihung Kunstwerk „Fragment der Berliner Mauer – Ende der Teilung Deutschlands und Europas 1990“
Einweihung Kunstwerk „Fragment der Berliner Mauer – Ende der Teilung Deutschlands und Europas 1990“© Nikita Markov

So steht das Fragment auch für die schwierige Geschichte Europas des 20. Jahrhunderts, mit all ihren Höhen und Tiefen, unsere gemeinsame Geschichte, zu der Russland gehört. Und es steht für den Willen der Menschen zur Freiheit, der stärker war als Mauern und Stacheldraht. Der Erfolg des Kunstwerks war überwältigend – unzählige Kommentare, Fotos, auch mahnende Worte, nicht wieder Mauern zuzulassen, weder in den Köpfen noch in der realen Welt: es entstanden unzählige Begegnungen mit Deutschland.

Ein weiteres Beispiel: Zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven hat der deutsche Künstler Otmar Hörl goldene und grüne Skulpturen des großen Komponisten geschaffen – mit einem genialen Unterschied zum Gewohnten: Beethoven, sonst immer ernst dargestellt, lächelt.

Die Deutsche Zentrale für Tourismus schickt diese Skulpturen mit der russischen Fluggesellschaft Utair auf Reisen durch Russland: Von Kaliningrad an der Ostsee über Surgut in Sibirien bis nach Tschukotka am Polarkreis im Fernen Osten sind sie ein beliebtes Fotomotiv und lösen positive Emotionen aus. Der lächelnde Beethoven überrascht, inspiriert innezuhalten, darüber nachzudenken, wie Musik und eine Geste, ein Lächeln, Menschen und Völker einander näherbringen können, auch ganz ohne Worte.

Durch mitreisende Blogger konnten gleich in den ersten Stunden Zehntausende Follower erreicht werden. Die Resonanz steigt stetig. Selbstverständlich ist im Deutschlandjahr auch wunderbare Musik Beethovens zu hören: Große Konzerte mit virtuosen deutschen und russischen Musikern, auch digital für viele Menschen zu erleben – ebenso wie live in einer Moskauer Metro-Station von einer jungen russischen BigBand für Passagiere: Auch dies ermöglicht viele Begegnungen mit Deutschland.

Ein drittes Beispiel: Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden bringen weltbekannte Gemälde in der Ausstellung „Träume von Freiheit. Romantik in Deutschland und Russland“ nach Moskau. Sie werden dort gezeigt zusammen mit Werken aus der Sammlung der Tretjakow-Galerie. Eine Epoche wird dargestellt, in der Künstler in Deutschland und in Russland Antworten auf sich einengende Freiheiten suchten und gaben. Die erstmalige Zusammenschau der Werke in einer Ausstellung eröffnet dem Betrachter verblüffende Parallelen in damalige Sichtweisen und Zeitgeist. Legt man Bilder deutscher und russischer Künstler nebeneinander, könnte man mitunter glauben, sie seien im selben Atelier entstanden, nicht tausende Kilometer voneinander entfernt.

Die geistige Nähe über die Grenzen hinweg im Streben nach Freiheit unterstreicht auch die einzigartige Ausstellungsarchitektur von Daniel Libeskind. Dass diese Ausstellung danach in Dresden präsentiert wird, macht sie zu einem kraftvollen Beispiel für Kulturdialog und Kulturaustausch und zweifellos zu einem Höhepunkt unseres Deutschlandjahres. Den europäischen Charakter unserer Kulturbeziehungen unterstreichen auch zwei andere große Ausstellungen: zur Eisenzeit, im Titel bezeichnender Weise einem „Europa ohne Grenzen“, oder auch zur Gegenwartskunst: Die Ausstellung „Diversity United“, wird 90 namhafte Künstler aus 34 europäischen Ländern, darunter auch Deutsche und Russen, zusammen in Moskau zeigen, wie zuvor in Berlin und im Anschluss in Paris. So sind Begegnungen mit Deutschland auch Begegnungen mit Europa.

Das Deutschlandjahr ist neben diesen großen Ereignissen geprägt durch die Vielzahl unterschiedlicher und genauso wichtiger Veranstaltungen über das ganze große Land verteilt: Konferenzen zur Berufsbildung, Workshops zu Umwelt und nachhaltigem Wirtschaften, Städtepartnerschaftsbegegnungen, Lesungen in Bibliotheken, Vorträge an Universitäten, historische Symposien, Sportbegegnungen, thematische Filmfeste, regionale und lokale Deutsche Wochen, Leistungsschauen der in Russland engagierten deutschen Wirtschaft und und und. Durch die Nutzung virtueller Formate ergeben sich verblüffende Reichweiten: an einer online-Deutschstunde des Goethe-Instituts über 11 Zeitzonen hinweg nahmen über 10.000 Menschen teil. Ein Weihnachtskonzert wurde unzählige Male als Video aufgerufen. Und ein virtueller Deutschland-Zug wird von Wladiwostok bis in den Westen des Landes virtuelle Zugänge zu Deutschland mit realen Ereignissen verknüpfen.

Eine solche Fülle und Vielfalt an Aktivitäten erfordert das Miteinander zahlreicher Beteiligter. Das Deutschlandjahr ist ein Gemeinschaftswerk. Die Deutsche Botschaft Moskau, das hiesige Goethe-Institut und die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer steuern, zahlreiche weitere deutsche Partner, wie unsere Generalkonsulate in Russland, Kultur- und Wissenschaftsorganisationen, Politische Stiftungen, Bildungseinrichtungen, auch Bundesländer und Kommunen, aber auch viele deutsche Unternehmen, oft gemeinsam mit engagierten russischen Partnern, bringen sich in die Ausgestaltung ein.

Und die russische Regierung, die gerade erst eine umfangreiche Saison Russe in Deutschland veranstaltet hatte, unterstützt uns, wofür ich sehr dankbar bin. Denn im strategischen Blick auf die Zukunft muss uns das Ziel eines guten, verlässlichen und respektvollen Miteinanders verbinden: Geschichte, Geographie und die großen Zukunftsfragen verlangen danach. Dass so viele Menschen mit viel Herz am Deutschlandjahr teilnehmen, sich dafür interessieren, was die Menschen in Deutschland heute bewegt und was unser Land ausmacht, zeigt, dass wir mit unserem Angebot zu Begegnungen mit Deutschland auf einem guten Weg sind.

Erschienen in Diplomatic World Magazin Nr. 65 auf Englisch

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