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Interview Botschafter von Geyr mit dem russischen Online-Portal NEWS.Ru

Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr

Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr, © Deutsche Botschaft Moskau / Nikita Markov

23.06.2020 - Interview

Herr Botschafter, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat erklärt, dass sich Deutschland in seinen Beziehungen zu Russland von der Konzeption der „friedlichen Koexistenz“ leiten lassen werde. Bedeutet das eine Änderung des außenpolitischen Kurses des Landes? Kann man eine Abkühlung in den bilateralen Beziehungen erwarten?

In den deutsch-russischen Beziehungen gibt es weiterhin viel Licht, aber leider auch einigen Schatten. Zum einen ist da ein festes Fundament langjähriger Kooperationen in Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft. Und vor allem die Vielfalt und Tiefe der menschlichen Kontakte ist und bleibt beeindruckend und prägend.
Zugleich aber gibt es leider auch eine Reihe von ernsten Problemen und Meinungsverschiedenheiten, die zwischen uns stehen – und „uns“ heißt nicht nur Deutschland, sondern auch viele weitere europäische und andere Staaten. Dazu gehört weiterhin die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die russischen Interventionen in der Ostukraine, beides Teile eines souveränen Landes. Aktuell besondere Sorge bereiten Berlin zwei Fälle in Deutschland unter Beteiligung staatlicher russischer Stellen, die aus guten Gründen in den Händen der Justiz sind: Der nachweislich massive Hacker-Angriff auf den Deutschen Bundestag, also direkt in das Herz unseres politischen Systems, und der Mordfall im Berliner Tiergarten.

All dies zusammen berührt auch sehr prinzipielle Fragen und belastet die politische Atmosphäre zusätzlich.
Dass uns aber grundsätzlich sehr an einem guten Miteinander gelegen ist, zeigt Ihnen, dass wir ab diesem Herbst ein Deutschland-Jahr in Russland veranstalten werden, also mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und Projekten Deutschland, die gelebte Wirklichkeit in unserem Land, den Menschen in Russland erfahrbar machen wollen. Dies unterstreichen auch zahlreiche, vielfach hochrangige Besuche auf Bundes- und Landesebene vor der Corona-Pandemie

Gibt es in Berlin Konsens in Bezug auf die Einführung von „Cyber-Sanktionen“ gegen Russland in Zusammenhang mit dem Hackerangriff von 2015? Gibt es hierfür einen zeitlichen Rahmen und welche Bereiche sollen davon erfasst werden?

Der Angriff auf die IT-Systeme des Deutschen Bundestags ist eine hochgradig kriminelle Tat, die zudem die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland berührt. Der Generalbundesanwalt hat Anfang Mai diesen Jahres einen Haftbefehl gegen einen russischen Staatsangehörigen ausgestellt und die Bundesregierung hat beschlossen, sich in Brüssel für die Nutzung des neuen Cybersanktionsregimes der EU gegen die Verantwortlichen einzusetzen. All dies spricht für eine weiter sorgfältige Prüfung, auch dass die Spuren nach Russland führen. Die Bundeskanzlerin hat dies, auch im Lichte des Mordfalls im Tiergarten, mit deutlichen Worten bewertet.

Da sich in den vergangenen Jahren Cyber-Angriffe auf Informationssysteme stark intensiviert haben, die eine äußere Bedrohung für die Union oder ihre Mitgliedstaaten darstellen, hat die EU vor gut einem Jahr ein spezielles Sanktionsregime beschlossen, mit dem die EU-Partner gemeinsam und entschlossen auf Cyberangriffe reagieren können. Es ermöglicht das Einfrieren von Vermögenswerten und Einreisebeschränkungen gegen beteiligte Personen und auch gegen Organisationen, die hinter diesen stehen. Jetzt geht die konkrete Prozedur in der EU ihren Weg.

Weiter zum Thema Sanktionen: Die USA bereiten neue Restriktionen in Bezug auf das Projekt North Stream 2 vor. Wird es eine Antwort aus Berlin geben? Wird diese mit Moskau koordiniert werden?

Zunächst möchte ich festhalten: Wir Deutsche und Europäer vermögen sehr wohl selbst zu beurteilen, wie unsere Energiesicherheit am besten gewährleistet wird und wie wir unseren Mix an Energieversorgung gestalten. Bei dem US-amerikanischen Gesetzentwurf, auf den sie anspielen, geht es darum, immer intensiver in unsere souveränen Entscheidungen einzugreifen, und dies mit dem Mittel extraterritorialer Sanktionen. Dies lehnen wir sehr grundsätzlich ab. Jetzt wird das Thema mit unseren Partnern in der EU besprochen - und gewiss auch intensiv mit den Verantwortlichen in den USA, noch ist die Sache ja im Gesetzgebungsprozess. Zugleich sind wir selbstverständlich auch im engen Austausch mit den Firmen, die bei NordStream kooperieren und mit der russischen Seite.

Ist Berlin überzeugt, dass North Stream 2 zu Ende gebaut wird? Falls ja, in welchem Zeitrahmen? Könnte die Entscheidung der Bundesnetzagentur, keine Ausnahme von der EU-Gasrichtlinie zuzulassen, revidiert werden?
Die neuen Vorhaben der Amerikaner ändern nichts an der Position der Bundesregierung zu NordStream II. Ob es zu weiteren Verzögerungen kommt, werden die am Projekt beteiligten Firmen beurteilen müssen. Was die Entscheidung der Bundesnetzagentur angeht, erfolgt diese in vollem Umfang auf Basis des deutschen und EU-Rechts Dazu gehört auch, dass gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt werden können, so dass eine gerichtliche Überprüfung der Bewertung erfolgt. Auf jeden Fall wird das Unternehmen den Betrieb der Pipeline nur nach den Regeln des in Deutschland geltenden Energiewirtschaftsrechts aufnehmen können.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind neben dem Hackerangriff auch durch den Mord an Selimchan Changoschwili in Berlin belastet. Gibt es eine Zusammenarbeit beider Staaten in dieser Sache? Hat Deutschland von Russland die notwendigen Daten erhalten?

In diesem Mordfall hat der Generalbundesanwalt soeben Anklage erhoben wegen schwerwiegender und gravierender Taten. Dies ist ein wichtiger Schritt in diesem Verfahren. Das Thema ist ernst. Die Anklageschrift spricht, wie der Mitteilung des Generalbundesanwalts zu entnehmen ist, eine klare Sprache.

In Berlin hat sich eine ukrainische Delegation zu einem offiziellen Besuch aufgehalten. Zuvor hatte der stv. Vorsitzende der Präsidialverwaltung Dmitrij Kosak Berlin besucht. Kann man sagen, dass Berlin die Initiative zur Annäherung der Positionen, um die Umsetzung der Pariser Vereinbarungen voranzubringen, ergriffen hat?

Das Pariser Treffen im Normandieformat letzten Dezember war das erste auf Gipfel- Ebene seit drei Jahren. Gut, dass es in Paris gelungen ist, sich auf höchster Ebene auf einen Katalog konkreter Schritte zu einigen, um eine Lösung im Donbass voranzubringen. Leider aber kommt man seither bei der Umsetzung dieser Schritte nicht so richtig voran – und dies zum Nachteil der Menschen, angesichts andauernder Waffenstillstandsverletzungen und auch humanitärer Not. Gemeinsam mit Frankreich will die deutsche Diplomatie hilfreich sein, deswegen führen wir intensiv und auf unterschiedlichen Ebenen Gespräche, und zwar mit beiden Seiten, denn auch Russland steht in der Verantwortung.

Die Notwendigkeit, die Minsker Beschlüsse umzusetzen, strahlt dabei ja auch weit in andere Politikbereiche hinein, die ihr Potenzial derzeit nicht wirklich entfalten können.

Wann kann ein neues Ministertreffen im N4-Format stattfinden? Wird es ein reales Treffen geben? Gibt es Voraussetzungen für einen Gipfel?
Die Außenminister sind zu Viert gerade erst per Video Ende April zusammengekommen. Was jetzt zählt, sind vor allem konkrete Fortschritte bei der Umsetzung des in Paris Vereinbarten, auf technischer Ebene. Dazu wird intensivst in der so genannten Trilateralen Kontaktgruppe gesprochen. Falls die Entwicklungen so sind, dass dazu politische Impulse der Minister helfen, sind wir dazu bereit. Dies gilt auch für einen Gipfel.

Wie bewertet Deutschland die Initiative von Verhandlungen über den Donbass im „Budapester Format“? Widerspricht dies nicht den Anstrengungen im N4-Format und im Rahmen der Minsker Vereinbarungen?

Ich sehe das Normandie-Format weiterhin als den politischen Rahmen, in dem Fortschritte zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen erreicht werden können und müssen. Die Konzentration aller sollte jetzt auf die Substanz gerichtet sein und nicht auf andere Formate ablenken. Es geht um höchst mühsame, aber notwendige Detailarbeit zu Waffenstillstand, Entflechtungen, Mienenräumung, humanitäre Fragen und die Gestaltung des politischen Prozesses. Alle müssen den wirklichen Willen haben, sich auf das gemeinsam vereinbarte Ziel auszurichten und sich voll einbringen.

In den Medien wird über die Bereitschaft Russlands informiert, die Flugverbindungen ab dem 15.7. mit einer Reihe von Ländern wieder aufzunehmen. Ist Deutschland auf der Liste?

Die russische Regierung wird sehen, in welcher Sequenz, mit welchen Ländern und mit welcher Geschwindigkeit sie die Flugverbindungen wieder aufnehmen möchte, die sie ja selbst unterbrochen hatte. Zugleich geht es um Einreisemöglichkeiten für Personen, die derzeit in beide Richtungen, also wegen russischer und auch wegen deutscher beziehungsweise EU-Gesundheitsvorsorgemaßnahmen extrem beschränkt sind. Ich gehe davon aus, dass es zu Lockerungen kommen wird, sobald die Infektionslage es zulässt. Denn im Endeffekt wird der Wirtschaftsaustausch, den wir ja alle wieder kräftigen wollen, neben dem Waren- und Dienstleistungsaustausch auch wieder einen funktionierenden Personenreiseverkehr benötigen.

In Moskau wird die Siegesparade nun am 24.6. durchgeführt. Ist es vorgesehen, dass ein Vertreter Deutschlands sie besucht?

Wenn ich es richtig verstehe, wird die Parade in diesem wegen der Pandemie besonderen Jahr auch einen besonderen Kreis an internationalen Gästen haben. Genauere Angaben haben wir bislang nicht erhalten, aber von einer Teilnahme aus Deutschland gehe ich derzeit nicht aus.

Erschienen im russischen Online-Portal NEWS.ru

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