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„Noch ist es zu früh für eine Aufhebung der Sanktionen zu plädieren“

27.01.2020 - Interview

Botschafter von Geyr im Interview mit der russischen Zeitung Kommersant

Nach Bekanntwerden Ihrer Ernennung berichteten die deutschen Medien, es habe keinerlei Kampf um den Botschafterposten in Moskau gegeben. Die SZ schrieb zum Beispiel: „…die Vertretung in der russischen Hauptstadt ist die größte des Auswärtigen Dienstes und zumindest historisch eine der prestigeträchtigsten. Mit der Wiederkehr der Eiszeit in den Beziehungen seit dem gewaltsamen russischen Eingreifen in der Ukraine und der Annexion der Krim aber hat Moskau für deutsche Spitzendiplomaten offenbar an Attraktivität eingebüßt.“ Entspricht diese Einschätzung der Realität? Was hat Sie dazu veranlasst, diesen Posten anzunehmen?

Ich finde, die Aufgabe ist ungeheuer interessant und, ja, sie ist, ich würde sagen herausfordernder geworden in den vergangenen Jahren. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland ist schwieriger geworden, und damit hat auch der Posten des Botschafters sich in seinem Charakter verändert, er ist vielleicht auch komplexer geworden. Ich mag Herausforderungen, auch professionelle, und deswegen habe ich mich sehr gefreut, dass ich den Posten erhalten habe. Und ich habe keine Minute bereut, hier zu sein.

Nach dem ersten Besuch Angela Merkels in Moskau seit fünf Jahren wurde in Russland von einem „Tauwetter“ in den russisch-deutschen Beziehungen gesprochen. Ist dieser Begriff angebracht?

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind weiterhin durchaus reichhaltig auf vielen Feldern, in der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur oder im gesellschaftlichen Miteinander. Im politischen Bereich sind sie derzeit konzentriert auf ganz spezifische Themen, bei denen wir – die russische Regierung und die deutsche Regierung – überzeugt sind, dass wir pragmatisch und fokussiert zusammenarbeiten müssen um diese Themen, die große Krisenherde der Region, ja der Welt betreffen, zu einer guten Lösung zu bringen. Dafür brauchen wir gemeinsame Analyse, auch gemeinsam getragene Initiativen. Dies hat auch die Substanz der Gespräche der Bundeskanzlerin hier in Moskau vergangene Woche ausgemacht: wir müssen uns gemeinsam, auch mit anderen Ländern, für gute Lösungen sehr schwieriger Themen, die die Welt im Moment bietet, bemühen, zumal wenn es sich um Themen handelt, die unsere Sicherheit betreffen.

Es geht also weniger um ein „Tauwetter“, sondern vielmehr um Pragmatismus?

Ich würde es nicht „Tauwetter“ nennen, so weit sind wir noch nicht. Es geht um die Notwendigkeit, in spezifischen Themen gemeinsam voranzukommen. Und: Man darf nicht vergessen, dass sich die Bundeskanzlerin und der russische Staatspräsident in den vergangenen Jahren, auch wenn es keine Besuche in Moskau gab, sehr oft gesprochen haben – am Telefon mit einer gewissen Regelmäßigkeit, und auch am Rande von diversen multilateralen Ereignissen. Sie sind im ständigen Kontakt zu ganz bestimmten Themen. Und jetzt war der richtige Zeitpunkt, spezifisch vor der Konferenz in Berlin zu Libyen, um sich konzentriert zusammenzusetzen.

Aber die Rückkehr zum Format von Regierungskonsultationen zwischen Russland und der Bundesrepublik Deutschland steht noch nicht auf der Tagesordnung?

Es gibt derzeit in den verschiedenen Bereichen unserer Zusammenarbeit eine unterschiedliche Kalibrierung. Für eine Rückkehr zur früheren, strukturierten Form einer engen Zusammenarbeit in der ganzen Breite der Politik, bis hin zu regelmäßigen Regierungskonsultationen, ist die Zeit noch nicht reif. Dazu sind noch zu viele schwierige Themen im Raum, bei denen wir unterschiedlicher, teils gegensätzlicher Auffassung sind. Ich hoffe, dass wir wieder Vertrauen aufbauen und Differenzen abbauen, damit das Miteinander sein Potenzial entfalten kann. Es hilft, wenn wir viel und klar miteinander reden. Und: uns geht es dabei nicht nur um das Bilaterale. Deutsche Außenpolitik ist immer auch ein Stück europäische Außenpolitik.

Wenn wir schon mal beim Thema Kontakte sind: Wie wahrscheinlich ist ein Außenministertreffen im Normandie-Format Mitte Februar am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz und ein Normandie-Gipfel Anfang April in Berlin?

Was die Ukraine angeht, versuchen wir ja gemeinsam mit Frankreich hilfreich zu sein, vor allem um nun das schon jahrelange Leid der betroffenen Menschen vor Ort zu lindern und auch um rechtstaatliche und völkerrechtliche Prinzipien, denen wir alle verpflichtet sind, zu wahren. Das ist sehr mühsam, aber mit dem Normandie- Format haben wir gerade in den vergangenen Wochen und Monaten gute, ganz konkrete Fortschritte erreicht. Seien es die Entflechtungen, der Austausch von Gefangenen, oder auch die sogenannte Steinmeier-Formel, die Sequenzen für eine zukünftige Struktur der umstrittenen Gebiete beschreibt, der alle vertrauen können. Dieses Momentum muss aufrechterhalten werden, Vertrauen weiter ausgebaut werden. Wichtig ist, einen nächsten Gipfel gut und detailliert vorzubereiten, so wie das letzte Gipfeltreffen sehr intensiv vorbereitet war. Wenn dies bis April der Fall ist, gut.

Und wie sieht es mit der Konferenz in München aus?

Die Sicherheitskonferenz in München ist ein großer, wohl der bedeutendste Treffpunkt für Konsultationen zu den aktuell brisanten, aber auch zu den strategisch wesentlichen Themen der Sicherheitspolitik. Ich freue mich, wenn eine starke russische Delegation teilnimmt und sich in einen engagierten Diskurs begibt. Ganz bestimmt wird das Thema Ukraine bei vielen Gesprächen eine wichtige Rolle spielen, gut möglich, dass es auch im N-4 Format sein wird. Aber ich kann es jetzt nicht bestätigen.

Wie steht es zurzeit mit der Kooperation zwischen Russland und Deutschland in Sachen Selimchan Changoschwili?

Der Fall ist in den Händen des Generalbundesanwaltes. Er ermittelt und wir müssen jetzt die Ergebnisse seiner Ermittlungen abwarten. Die Bundesregierung hatte ja sehr gehofft, dass die russische Regierung bereits in den vergangenen Monaten im vollen, erwartbaren Maß bei der Aufklärung kooperiert und die Ermittlungsarbeit unterstützt hätte. Das war leider nicht der Fall, so dass es Ende des Jahres zu Ausweisungen kommen musste. Ich hoffe, dass mittlerweile voll kooperiert wird.

Warum verweigerte Berlin seine Auslieferung an Moskau, wo behauptet wird, dass er an der Organisation von terroristischen Anschlägen in der (Moskauer) Metro beteiligt gewesen sei?

Über ein tatsächliches Auslieferungsersuchen ist mir, und soweit ich weiß, der Bundesregierung, nichts bekannt. Im Übrigen ändert diese Frage auch nichts an der Tatsache, dass die deutschen Behörden bei der Aufklärung eines in Deutschland begangenen Mordes volle Kooperation erwarten.

Entsprechen deutsche Medieninformationen der Realität, wonach einer der aus Berlin ausgewiesenen russischen Botschaftsmitarbeiter (Jewgeni Suzki) sich als Lobbyist von „Nord Stream 2“ und als Anwerber von deutschen Politikern betätigte?

Dazu kann ich von hier aus nicht antworten. Ich kann ihnen aber sagen, dass die Diplomaten aus meiner Botschaft, die durch die russische Regierung ausgewiesen worden sind, sich nichts, aber auch gar nichts haben zu Schulden kommen lassen.


Plant Deutschland irgendwelche Schritte zum Schutz von Investitionen deutscher Unternehmen in den „Nord Stream 2“? Falls nicht, warum? Denn die US-Sanktionen verzögern und verteuern das Projekt, wodurch die Rentabilität beeinträchtigt wird. Wobei Uniper und Wintershall zu dessen Kreditoren gehören.

Zunächst einmal will ich festhalten, dass wir als Bundesregierung die extraterritoriale Wirkung von Sanktionen ablehnen. Derartige Sanktionen haben die Vereinigten Staaten nun gegen North Stream 2 verhängt. North Stream 2 bleibt ein Vorhaben, das unserem Interesse dient, unsere Energiesicherheit zu wahren und zugleich zu einer Diversifizierung der Lieferwege zu kommen. Soweit ich erkennen kann, ist das Projekt durchfinanziert, wird sich aber jetzt verzögern, als Folge der Sanktionen.

Es bleibt aber ein Projekt von Firmen und ist kein Projekt der Bundesregierung. Insofern ist es jetzt vor allem an den Firmen zu sehen, wie sie mit diesen Sanktionen und ihren Folgen umgehen.

In den letzten Jahren haben deutsche Unternehmen, die in Russland tätig sind, regelmäßig an Berlin appelliert, die Sanktionen gegen Moskau aufzuheben. Verhallen diese Appelle ungehört?

Die Sanktionen der EU-Europäer wegen des Donbass sind ja keine Sanktionen um der Sanktionen willen, sondern es sind Sanktionen, bei denen vorgezeichnet ist, wie sie wieder aufgelöst werden können, nämlich mit der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Auf diesen Minsker Prozess konzentrieren wir uns, in letzter Zeit gab es hoffnungsvolle Schritte. Mit einer Umsetzung von Minsk kommen wir auch einer Aufhebung der Sanktionen näher. Das ist die Logik. Noch hat sich die Situation nicht derart gewandelt, dass wir für eine Aufhebung der Sanktionen plädieren würden.

Ich verstehe, dass es auch für deutsche Firmen schwierig ist, mit den Sanktionen zu leben, was ihren Geschäftsalltag und ihre Geschäftsmöglichkeiten betrifft. Aber die Sequenz der Ereignisse wird in diesem Fall eine prioritär politische bleiben, nicht eine ökonomische.

Warum gab es keine deutsche Reaktion auf den Vorschlag des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, ein Moratorium für die Stationierung von Mittel- und Kurzstreckenraketen einzuführen? Der französische Präsident, Emmanuel Macron, hat wenigstens seine Bereitschaft erklärt, dieses Thema zu erörtern. Was hinderte Berlin daran, genauso zu reagieren?

Die Reaktion auf den Vorschlag des russischen Präsidenten wurde von der NATO gegeben. Der NATO- Generalsekretär hat im Konsens der Allianz gesprochen und dazu gehören wir ja auch, genauso wie Frankreich. Und die Mitglieder der Allianz sind der Auffassung, dass es die russische Föderation war, die den INF-Vertrag verletzt hat, mit der Einführung einer bestimmten Waffentyps. Dadurch wurde die vereinbarte Balance aus dem Gleichgewicht gebracht. Auf der Basis dieses Vorteils, den sich die russische Seite nach unserer Auffassung bereits geschaffen hat, sind die Länder der Allianz nicht bereit, ein Moratorium einzugehen. Das heißt natürlich nicht, dass wir in dem großen, weiten Bereich der Rüstungskontrolle nicht bereit wären, mit Russland zu sprechen, im Gegenteil. In dem spezifischen Bereich bodengebundener Mittelstreckenwaffen aber hat sich Russland Vorteile verschafft, die wir nicht mit einem Moratorium quasi nachträglich zur neuen Arbeitsbasis machen können.

Und unter welchen Bedingungen wird sich die NATO bereit erklären, diesen Vorschlag zu erörtern? Wann wird das Gleichgewicht durch den Einsatz neuer amerikanischer Raketen in Europa wieder hergestellt?

In der heutigen Welt sollten wir uns von dem Bild verabschieden, dass Balancen mit der exakt gleichen Art von Vorhaben hergestellt werden müssen. Da hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Sicherheitspolitik sehr viel verändert. Aber es bleibt die unbedingte Notwendigkeit zu Rüstungskontrolle, zumal bei bereits fest vereinbarten Kategorien. Und das braucht Vertrauen, Transparenz und Verifikation. In diesem höchst sensiblen Bereich sind Ungleichgewichte und Unklarheiten nicht gut.

Vor einem Jahr haben deutsche Regierungsstellen angekündigt, 12 Millionen Euro für Projekte bereitstellen zu wollen, die mit dem Jahrestag der Beendigung der Leningrader Blockade zusammenhängen. Es hieß, dass mit diesem Geld das Veteranenhospital modernisiert und ein Russisch-Deutsches Begegnungszentrum geschaffen werden soll. Sind diese Projekte bereits in Angriff genommen?

Die Blockade von Leningrad war eines der furchtbarsten Verbrechen der Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg. Mich hat ein Besuch im Blockade-Museum in St. Petersburg sehr bewegt. Und ich bin sehr froh, dass die beiden Außenminister vor einem Jahr diese humanitäre Geste vereinbart haben. Mittlerweile ist das Projekt ausgearbeitet und ich hoffe, dass sehr bald, also in den kommenden Wochen, die ersten Güter bereitgestellt werden können für das Veteranenkrankenhaus in St. Petersburg. Wichtig ist aber für mich auch der zweite Teil dieser humanitären Geste: Dabei wollen wir Begegnungen zwischen jungen Deutschen und Überlebenden der Blockade ermöglichen. Diese Zeit für Begegnungen und Gespräche, ein Miteinander im Alltagsleben, gerade auch zwischen den Generationen, wird, ich bin mir sicher, sehr viel wert sein - ganz gewiss für die jungen Deutschen, die kommen, und ich hoffe sehr, auch für die Blockade-Opfer.

Welcher Teilbetrag von diesen 12 Millionen ist für die mit der Projektimplementierung beauftragte GIZ GmbH bestimmt?

Es ist üblich, dass eine Organisation ausgewählt wird, die so ein wichtiges Projekt umsetzt, da geht es etwa um Personal oder Transport. Die GIZ hat große Erfahrung mit derartigen Projekten der Bundesregierung und arbeitet mit exzellenter Qualität. Bei diesem spezifischen Projekt sind wir mit der russischen Seite übereingekommen, dass die Marge, die die GIZ aus dem Gesamtbetrag für ihre Leistungen erhält, außerordentlich gering bleiben wird.

Wird aus Berlin jemand zum 75. Jahrestag des Sieges nach Moskau reisen?

Bislang gibt es noch keine Entscheidung, wer Deutschland in Moskau vertreten wird. Aber ich bin mir sicher, dass Deutschland in einer Weise mit der Erinnerung an das Ende des Krieges umgehen wird, dass die Würde des Themas und dessen Bedeutung für die Menschen in Russland respektiert.

Der russische Staat legt heute besonderes Augenmerk auf die Unterbindung von Versuchen, die Geschichte zu verfälschen, und sieht sich dabei mit der Position anderer Länder, vor allem Polens, konfrontiert. Wie steht man heute in Berlin zu den Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Warschau um das Thema „Beginn des 2. Weltkrieges“?

Wir haben in Deutschland nach den Untiefen des Zweiten Weltkrieges und der Shoah einen schwierigen, aber sehr ehrlichen Blick in den Spiegel unserer Geschichte getan. Das war nicht einfach. Aber die Erfahrung, uns zu unserer eigenen historischen Verantwortung zu bekennen, ist und bleibt bestimmend für unser Land und unsere Gesellschaft..

In Deutschland wurden in den vergangenen Jahrzehnten die Epochen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges in einer bemerkenswerten Tiefe erforscht, Quellen editiert, detailliert untersucht und eingeordnet. Auf der Basis all dessen stehen wir zu unserer eigenen Schuld, was etwa den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, den Überfall auf Polen, oder auch den Überfall auf die Sowjetunion betrifft.

Gerade weil die Menschen in Russland in dieser Zeit so sehr gelitten und so große Opfer gebracht haben und weil die Menschen in Polen in dieser Zeit so sehr gelitten und so große Opfer gebracht haben, bedauere ich, dass sich unterschiedliche Geschichtsauffassungen derzeit so hart entgegenstehen.

Was ist in den bilateralen Beziehungen in diesem Jahr zu erwarten?

In diesem Jahr werden wir besondere Schwerpunkte setzen bei der Zusammenarbeit im Bereich der Wissenschaft und der Hochschulen und bei der großen Zukunftsaufgabe, wie wir die Wirtschaft nachhaltig gestalten können. Dazu wird es viele Veranstaltungen und Projekte geben, hier in Russland wie auch in Deutschland.

Und: Im Sommer startet hier in Russland ein Deutschlandjahr, so wie Russland 2019 sich mit einer Saison Russe bei uns präsentiert hat. Wir beginnen mit einem großen Fest Ende August und es wird ein Jahr lang viel zu sehen und zu erleben geben, an vielen Orten im ganzen Land. Es geht uns darum, Deutschland in seiner ganzen Vielfalt zu zeigen, unsere gelebte Wirklichkeit erfahrbar zu machen, wie lebendig unsere Kultur ist, wie exzellent unsere Produkte, wie intensiv das Nachdenken über die großen Zukunftsthemen. Lassen Sie sich überraschen! Ich freue mich sehr auf ein intensives Jahr der deutsch- russischen Beziehungen. Denn ich bin weiterhin überzeugt, dass uns weit mehr verbindet, als uns trennt.

Kommersant N 13 vom 27.01.2020

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