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Rede von Außenminister Heiko Maas vor dem Deutschen Bundestag zur Bilanz der deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

26.11.2020 - Rede

(stenographisches Protokoll)

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist nichts anderes als ein Spiegel der Weltpolitik, und die hat ganz sicherlich das Prädikat „schwierig“ in den letzten Jahren mehr als verdient. Nicht anders kann man auch die Arbeit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen selbst beschreiben.

Der Rückzug der USA aus multilateralen Strukturen unter Donald Trump, der wachsende amerikanisch-chinesische Gegensatz auf allen Ebenen und die Missachtung des Völkerrechtes, und zwar auch durch ständige Mitglieder: Das alles ist nicht spurlos am Sicherheitsrat vorbeigegangen. Und natürlich ist der Raum für Fortschritte und Kompromisse in dieser Zeit aus diesen Gründen auch mehr als geschrumpft.

Dennoch: Wer nun den Abgesang auf den Sicherheitsrat anstimmt, dem will ich beispielhaft mal eine Zahl entgegenhalten, und diese Zahl lautet 101. So viele Resolutionen hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen trotz aller Kontroversen und trotz schwieriger Rahmenbedingungen während unserer Mitgliedschaft verabschiedet - von Afghanistan bis Jemen, von Sudan bis zur Zentralafrikanischen Republik -, und oft waren es die Europäer im Sicherheitsrat, die immer wieder Kompromisse vorgeschlagen haben, in unendlichen Gesprächen nach Lösungen gesucht haben, aber auch, wo es nötig gewesen ist, ganz entschieden dagegengehalten haben.

Ich erinnere mich noch gut an die schwierigen Gespräche etwa mit Sergej Lawrow, dem russischen Außenminister, als Russland und China während unserer Präsidentschaft im Juli damit drohten, die grenzüberschreitende humanitäre Hilfe in Syrien auslaufen zu lassen.

Und natürlich war es schmerzhaft, dass wir den Zugang für die humanitären Helfer in Syrien am Ende auf einen Grenzübergang beschränken mussten. Aber der Unterschied zwischen diesem einen und keinem Grenzübergang ist für Tausende von Syrerinnen und Syrern ein Unterschied zwischen Leben und Tod gewesen. Deshalb haben wir - und das ist nur ein Beispiel - Tage und Nächte über dieses eine Thema durchverhandelt, und so ging es bei vielen anderen auch. Und deshalb haben wir am Ende auch, und zwar zusammen mit anderen, einen Kompromiss erzwungen.

Gleiches gilt etwa für den Sudan. Manch ein Sicherheitsratsmitglied hatte schon auf die endgültige Abwicklung der UN-Mission in Darfur spekuliert.

Meine Damen und Herren, ich würde gerne auf einige Beispiele zurückkommen, bei denen man sehen kann, dass der Sicherheitsrat zumindest nicht gänzlich seine Handlungsfähigkeit verloren hat. Ich habe Syrien angesprochen und würde gerne auch den Sudan und insbesondere die UN-Mission ansprechen, die für viele schon beendet gewesen ist. Doch letztlich durften wir im Sudan nach der Absetzung al-Baschirs einen neuen demokratischen Sudan mit all dem, was es an Hoffnung in diesem Land gibt, eben nicht im Stich lassen. Und so haben wir es auch gemeinsam mit Großbritannien geschafft, eine völlig neue UN-Mission aus der Taufe zu heben, die nun den politischen Reformen Unterstützung leistet und auch den laufenden Friedensprozess begleitet. Das alles sah am Anfang der Diskussion ganz anders aus.

Das gilt auch für Libyen. Ohne den Berliner Prozess, den wir ja hier mit der Libyen-Konferenz zu Beginn des Jahres gestartet haben, und ohne unser ständiges Nachhalten der eingegangenen Verpflichtungen im Sicherheitsrat und auch im Sanktionsausschuss würden wir heute nicht über eine politische Friedenslösung und freie Wahlen im Dezember in Libyen sprechen. Was der Sicherheitsrat als Ergebnis von Berlin, der Libyen-Konferenz hier in Berlin, indossiert hat, bildet heute die Basis für das Libysche Politische Dialogforum.

Und dass wir trotz aller Polarisierung des Sicherheitsrates in der Lage gewesen sind, solche Fortschritte zu erzielen, hat auch etwas damit zu tun, dass wir Kurs gehalten und uns an dem orientiert haben, was wir als Zweijahresprogramm dort vorgelegt hatten. Wir hatten von Beginn an immer großen Wert darauf gelegt, dass wir eine starke europäische Stimme im Sicherheitsrat sein wollen.

Wir haben uns nicht nur täglich mit unseren europäischen Partnern abgestimmt, wir haben auch gemeinsam Sondersitzungen einberufen, gemeinsam abgestimmt und damit der Weltöffentlichkeit auch gemeinsam erklärt, worum es uns geht, nämlich darum, das Gewicht Europas und vor allen Dingen der Europäischen Union im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu stärken. Und ich bin froh, dass uns mit Norwegen und Irland ab Januar zwei Länder nachfolgen, die diesen Weg ganz konsequent weitergehen wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch inhaltlich sind wir uns in diesen zwei Jahren treu geblieben. In jeder einzelnen der 101 Resolutionen der letzten Monate haben sich unsere Kolleginnen und Kollegen in New York und Berlin immer für einen vorausschauenden umfassenden Sicherheitsbegriff eingesetzt, der zum Ziel hat, dass sich der Sicherheitsrat nicht immer erst dann mit Themen befasst, wenn vor Ort bereits geschossen wird, sondern viel früher, um solche Konflikte möglicherweise zu verhindern. Also, Menschenrechte, die Verfolgung von Kriegsverbrechen, die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen, ihr Schutz vor sexueller Gewalt, all das wäre ohne diesen Einsatz oft schlicht und einfach unter den Tisch gefallen, weil nicht alle Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - auch permanente Mitglieder des Sicherheitsrates - bereit sind, diese Prioritäten und damit auch diese Realitäten in der internationalen Politik anzuerkennen.

Wegen der gravierenden Folgen für die Menschen, die unter Kriegen und Konflikten leiden, ist das Thema, dass der Sicherheitsrat auch viel mehr präventiv arbeitet, ganz besonders wichtig. Und genau diese Menschen, Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, haben wir im Rat zu Wort kommen lassen. Häufiger als irgendein anderes Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben wir immer wieder Zivilorganisationen, Menschenrechtsorganisationen als Briefer im Sicherheitsrat vortragen lassen. Gemeinsam mit Frankreich haben wir den sogenannten Call for Humanitarian Action angestoßen. Er steht für unseren Einsatz zum Schutz des humanitären Völkerrechts und zum Erhalt des humanitären Raumes.

Meine Damen und Herren, auch das Thema „Abrüstung und Nichtverbreitung“ haben wir erstmals seit acht Jahren überhaupt wieder auf die Tagesordnung im Sicherheitsrat gesetzt. Darüber ist acht Jahre lang im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht gesprochen worden. Es gab viel Skepsis auch wiederum bei permanenten Mitgliedern des Sicherheitsrates, ob man überhaupt wieder über dieses Thema reden sollte. Dass das in einer Zeit notwendig ist, in der wieder an der Rüstungsspirale gedreht wird, ist uns, glaube ich, allen klar. Wir haben auch berechtigte Hoffnungen, dass sich dies in den nächsten Monaten auszahlt, etwa bei der Vorbereitung der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages, die im nächsten Jahr stattfinden wird.

Meine Damen und Herren, wir haben natürlich nicht immer alles erreicht, schon gar nicht so, wie wir uns das gewünscht hätten. Aber unter unserer Präsidentschaft ist im Juli endlich der Aufruf zu einer weltweiten Waffenruhe während der Coronapandemie beschlossen worden. Bedauerlicherweise hat es viel zu lange gedauert, nämlich komplette vier Monate, bis sich der Sicherheitsrat dazu überhaupt durchringen konnte. Und auch eine ambitionierte Resolution zu den Folgen des Klimawandels für Frieden und Sicherheit war mit der Trump-Administration bedauerlicherweise überhaupt nicht machbar gewesen. Doch wir haben erhebliche Vorarbeit geleistet, erstmals eine informelle Expertengruppe des Sicherheitsrates ins Leben gerufen und sogenannte Referenzdokumente zusammengetragen, die die sicherheitspolitischen Risiken des Klimawandels eindeutig belegen, und darauf wird die Arbeit unserer irischen und norwegischen Freunde ab dem nächsten Jahr aufsetzen.

Meine Damen und Herren, ich bin auch froh, dass unsere Nachfolger im Sicherheitsrat nicht nur darauf aufbauen können, sondern auch auf eine Biden-Administration, die sich endlich wieder zum Multilateralismus bekannt hat. Nicht nur die ersten Personalvorschläge des künftigen amerikanischen Präsidenten machten uns Hoffnung, dass die USA ihre Rolle als überzeugter Multilateralist und Stütze der internationalen Ordnung endlich wieder einnehmen.

Das Wissen aus einer Lektion der letzten Jahre sollten wir als Europäer dennoch bewahren, nämlich dass es - darüber müssen wir uns alle klar werden - viel stärker als früher auch auf uns ankommen wird, in dieser Welt Regeln zu verteidigen und neue zu setzen, Regeln, die eben allen Menschen zugutekommen. Auch Deutschland muss sich dieser Verantwortung weiter stellen - in den Vereinten Nationen und natürlich auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Dass wir einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auch auf Dauer auszufüllen wissen, das haben wir in den letzten beiden Jahren bewiesen. Deshalb wollen wir nicht nur in acht Jahren erneut für einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat kandidieren, sondern wir wollen bis dahin ein ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werden.

Herzlichen Dank.

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