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Ansprache von Botschafter Dr. Géza Andreas von Geyr zur Eröffnung der internationalen wissenschaftlichen Konferenz „Der 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs“

01.10.2019 - Pressemitteilung

01.10.2019, Institut für allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Tschubarjan,
sehr geehrter Herr Naryschkin,
sehr geehrter Herr Schwydkoj,
meine Damen und Herren,


ich danke Ihnen sehr für die Einladung zur heutigen Konferenz und für die Möglichkeit, dass ich als Deutscher Botschafter - und auch als Historiker einige Worte an Sie richten kann.

In diesen Wochen blicken wir in Russland, in Deutschland, ja überall in Europa und auf der Welt, auf die Ereignisse, die vor 80 Jahren zur Entfesselung des Zweiten Weltkriegs führten – eines Vernichtungskrieges von bis dahin ungekanntem Ausmaß – und, Herr Schwydkoj hat dies so klug beschreiben: einer einzigartigen Krise der Humanität.

Wenn wir uns dieser historischen Ereignisse erinnern, sie analysieren und werten,
so sprechen wir nicht nur über die Vergangenheit.

Wir sprechen gerade bei diesem so schwierigen und so gewichtigen Thema immer auch über Gegenwart und Zukunft.

Ja, die Wunden dieses Krieges sind heute noch zu spüren und die Beschäftigung mit Fragen des Krieges, so auch des Kriegsausbruchs, bleibt auch heute höchst politisch.

Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir uns heute, 80 Jahren später, an die schrecklichen, schicksalsträchtigen Geschehnisse des Kriegsausbruchs erinnern und diese wissenschaftlich erfassen.

Ich will es so sagen: Mein Land, Deutschland, konnte nach Ende des Weltkriegs wieder ein geachtetes Mitglied der Völkergemeinschaft werden,
gerade auch weil wir einen ehrlichen und ungeschönten, schwierigen Blick in den Spiegel unserer Geschichte genommen haben – und dies weiterhin tun.

Wir verstehen dies als unsere Verantwortung vor der Geschichte und vor den nachfolgenden Generationen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Dieser Krieg ging von deutschem Boden aus und brachte unermessliches Leid über Abermillionen Menschen.

Er war das Ergebnis einer ungezügelten Machtpolitik des Deutschen Reiches.

Am 01.September 1939, nach der Verständigung zwischen Hitler und Stalin, zulasten Dritter und über das Völkerrecht hinweg, überfiel das Deutsche Reich seinen Nachbarn Polen. Weniger als zwei Jahre dauerte es dann bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion.

Meine Damen und Herren,

Heute vor einem Monat, in seiner Rede zum Gedenken an den 80. Jahrestag des Kriegsbeginns, sagte Bundespräsident Steinmeier in Warschau:

„Nein, die Vergangenheit ist nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Je länger dieser Krieg zurückliegt, desto wichtiger wird das Erinnern.
Ein Krieg ist beendet, wenn die Waffen schweigen. Seine Folgen aber sind ein Erbe für Generationen.
Dieses Erbe ist ein schmerzhaftes Erbe.
Wir Deutsche nehmen es an, und wir tragen es weiter.“

Als Deutscher Botschafter in Russland begrüße ich sehr, dass in Ausstellungen und in Konferenzen wie der heutigen
die Erinnerung wachgehalten wird, an das unermessliche Leid, das der Zweite Weltkrieg gebracht hat,
die Erinnerung an die ungeheuren Opfer, die maßgeblich die Völker der Sowjetunion für die Überwindung des Nationalsozialismus erbracht haben.

Und lassen Sie mich klar sagen: es verbietet sich, diese historischen Tatsachen zu negieren oder zu relativieren!

Zugleich geht es auch darum, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Ich will nur zwei Aspekte von vielen nennen:

Für uns Deutsche gehört zu diesen Lehren auch, dass wir nie wieder Sprachlosigkeit oder Feindschaft mit Russland zulassen wollen.

Ja, ich gehe weiter: Deutsche und Russen haben heute eine große gemeinsame Verantwortung für den Frieden und das Wohlergehen unseres europäischen Kontinentes. Ein Handeln über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg kann es nicht geben. Und: Der europäische Einigungsprozess ist für uns der Friedensprozess für unseren Kontinent.

Eine weitere Lehre ist, dass internationale Politik nicht von Willkür und Gewalt bestimmt sein darf: es darf kein Recht des Stärkeren geben. Wir setzen uns ein für die Stärke des Rechts – die wir gemeinsam verteidigen.

Meine Damen und Herren,

der gemeinsame Blick auf die gemeinsame Geschichte mag oft schwierig, ja schmerzlich sein – er ist enorm wichtig, gerade auch in Zeiten politischer und völkerrechtlicher Meinungsunterschiede.

Der gemeinsame Blick auf die gemeinsame Geschichte kann ausstrahlen auch auf die Bereitschaft und Fähigkeit zu einem offenen, ehrlichen und konstruktiven Dialog zu schwierigen aktuellen Fragen.

Zwei ganz aktuelle Beispiele möchte ich nennen:

- Es ist uns gelungen, ein gemeinsames deutsch-russisches Geschichtsbuch zum 18. - 20. Jahrhundert zu verfassen – vor wenigen Wochen wurde es im russischen Außenministerium vorgestellt.
Ich danke Ihnen, Herr Prof. Dr. Tschubarjan als Mitherausgeber und stellvertretend für die Deutsch-Russische Historikerkommission für dieses verdienstvolle, keineswegs einfache Projekt.

- Und es ist uns gelungen, eine Vereinbarung zwischen Russland und Deutschland zu erreichen, über die Übergabe und Nutzung von Daten Hunderttausender sowjetischer Kriegsgefangener und Militärinternierter, die in deutscher Gefangenschaft ums Leben gekommen sind. Diese Vereinbarung wurde vor wenigen Tagen in Berlin unterzeichnet.

Abschließend wünsche ich Ihnen eine interessante und aufschlussreiche Konferenz, haben Sie herzlichen Dank für Ihre Beiträge und Ihre Beschäftigung mit diesem schmerzvollen und unbedingt lehrreichen Thema der Geschichte.


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